„Wir sind hier alle per Du“

"Wir sind hier alle per Du"

Nicola Schmidt

„Du“ signalisiert soziale Nähe, Sympathie, Intimität. „Sie“ steht für soziale Distanz, Neutralität und Respekt. So weit, so gut – und auch wieder nicht: Wann wir einen Menschen duzen oder siezen, hängt von der sozialen Situation und der Person, seiner Herkunft und Alter, seinem Beruf, seinem Tonfall, Mimik und seiner Körpersprache ab. Auch wenn sich vielerorts automatisch geduzt wird, war die Unsicherheit hierzulande nie größer, wer wen wann duzt oder siezt.
Früher
Auf jeden Fall deutlich leichter. Kinder haben die Erwachsenen grundsätzlich zu siezen, wenn man von der eigenen Familie mal absieht. Erwachsene untereinander duzten sich nur dann, wenn sie miteinander befreundet waren. Für die Studenten war ein „Sie“ selbstverständlich. Das änderte sich erst mit der 68er-Bewegung: Für Studenten war das Siezen Ausdruck einer bürgerlichen-miefigen Einstellung. Von gestern. Als diese Generation in die Chefetagen und Lehrerzimmer einzog, kam das „Du“ gleich mit. Mit einem „Du“ wird die Kindheit übrigens ausgedehnt, bis zum 30. Lebensjahr. Ein „Du“ vermittelt Jugend und jung bleiben.

Duzen in der Schule Die Lehrer duzen sich untereinander, dass ist normal. Darf ein Schüler den Lehrer auch duzen? Das war viele Jahrzehnte lang undenkbar. Mittlerweile ist an vielen Gesamtschulen das Du und die Nennung beim Vornamen völlig normal, an Gymnasien dagegen immer noch eher ungewöhnlich.

Arbeitsleben
Arbeitskollegen, die viel miteinander zu tun haben, duzen sich häufig. Je nach Position wird sich geduzt oder gesiezt. Der Chef wird in vielen Firmen gesiezt, aber auch geduzt. Es lässt sich heute kaum noch nach Branchen festmachen, wie man sich untereinander anredet. Vor einigen Jahren hieß es, die New-Economy-Branche wird sich generell geduzt. Die Gesellschaft ist demokratischer geworden und mit einem „Du“ verschwimmen die Hierarchien. Was nicht heißt, dass sie dann weg sind und alle Mitarbeiter einschließlich des Chefs gleichgestellt sind. Mit einem „Du“ wird der Chef noch lange nicht zum Kumpel. Ob man im Betrieb „Du“ oder „Sie“ sagt, hängt wesentlich von der Unternehmenskultur ab.

Unternehmenskultur
Es gibt Firmen, da ist es Unternehmensphilosphie, dass sich alle untereinander duzen. Das schwedische Möbelhaus gehört dazu und ein bekanntes Haustierbedarfsunternehmen. Wer das nicht gewohnt ist, wird sicherlich im ersten Moment erst mal verwundert gucken, wenn ein Verwaltungsmitarbeiter einen externen Besucher duzt.

Es gibt Firmen, die beschlossen haben, eine neue Unternehmenskultur einzuführen: Zu Beginn des neuen Jahres sagen wir alle Du zueinander. Die Entscheidung war sicherlich alles andere als leicht. Der ein oder andere aus dem Vorstand fragte zu Recht, was mit seiner Autorität passiert. Kann man dagegen wehren? Nein, denn wenn die Firmenkultur etwas anderes vorschreibt, kann keiner auf seinem „Sie“ weiterhin bestehen.

„Du“
Trotz der zahlreichen „Du“s“ heutzutage, ist vielen Menschen ein „Sie“ lieber. Wird das „Du“ abgelehnt, sollte man dem Gegenüber klarmachen, dass es nichts mit ihm persönlich zu tun habe, da man selber im Berufsleben das „Sie“ bevorzugt. Der Vorteil: Hier wird die nötige Distanz gewahrt.
Im Berufsleben bietet der Höhergestellte das „Du“ an, im Privatleben der deutlich Ältere. Jeder Mensch kann sich in Ruhe überlegen, ob er das „Du“ annehmen möchte oder nicht.

Folgende Situation ist wahrscheinlich schon vielen Menschen passiert: Jemanden versehentlich duzen. Bevor man jedoch einfach weiter redet und so tut, als sei nichts gewesen, ist es besser, den Fauxpas anzusprechen. „Verzeihung, das ist mir gerade so rausgerutscht. Ich wollte Ihnen damit nicht zu nahe treten.“ Und dann weiter in die Sie-Form wechseln.

Ein „Sie“ ist keineswegs negativ zu bewerten. Es ist ein Ausdruck von Wertschätzung, denn man signalisiert, dass man den Bereich des anderen achtet und respektiert. Man möchte dem anderen ja auch nicht zu nahe treten.

Unangenehme Dinge lassen sich in der Sie-Form besser transportieren. Damit wird Kritik auch eher sachlich aufgenommen und wird nicht so schnell angreifend.

„Haben wir uns gesiezt oder geduzt?“
Wenn man sich nur selten sieht, kann es immer mal passieren, dass man nicht mehr weiß, ob man sich gesiezt oder geduzt hat. Wer einmal im Jahr auf einer Firmentagung ist, kann davon ein Lied singen. Derjenige wird wahrscheinlich versuchen, die direkte Ansprache zu umgehen, in dem er in die Wir-Form wechselt. Diese Passivkonstruktionen sind nicht nur anstrengend und kompliziert, sondern wirken auch nicht gerade elegant. Dann ist es doch besser, lieber mal abzuwarten, ob das Gegenüber auf dem aktuellen Anredestand ist. Ansonsten einfach die Situation offen ansprechen. „Ich bin mir nicht sicher, ob wir beim Sie oder beim Du waren…“

„Hamburger Sie“
Der ehemalige Bundeskanzler Helmut Schmidt sagte einmal: „Das stilvollste Du ist das Hamburger Sie.“ Das ist eine gute Alternative zum Duzen. Man redet seinen Gesprächspartner mit Vornamen und in der Sie-Form an. „Marco, bitte erledigen Sie das heute noch.“

In vielen geschäftlichen Veranstaltungen, wie Betriebsausflug oder Weihnachtsfeier wird das „Du“ schnell mal über Bord geworfen. So wird der Chef vom Lageristen geduzt, der Ausbilder von seinem Azubi. Am nächsten Tag ist man dann schnell verunsichert und weiß nicht, wie man sich verhalten soll…
Dann bietet das „Hamburger Sie“ eine gekonnte Alternative.

Nicola Schmidt – Wirkungsverstärkerin und Stilprofilerin

Nicola Schmidt ist Rednerin, Referentin und Trainerin für die Erfolgsfaktoren Kleidung, Körpersprache und Umgangsformen. Sie hilft ihren Kunden, ihr Image-Konzept zu entwickeln, um als Person auch optisch zu überzeugen. In den unterschiedlichsten Branchen motiviert sie Führungspersönlichkeiten und Mitarbeiter, sich authentisch und kompetent zu kleiden und entsprechend aufzutreten. Gerade wenn die Wirkung auf dem Prüfstand steht und das Image verbessert werden soll.

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