Versorgungsgesetz: Licht und Schatten

Heppenheim (pressrelations) –

Versorgungsgesetz: Licht und Schatten

Verfeinerte und flexibilisierte Bedarfsplanung kein Königsweg zur Sicherstellung einer flächendeckenden ärztlichen Versorgung

Die Bundesregierung hat den Referentenentwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Versorgungsstrukturen (Versorgungsgesetz) vorgelegt. Hierzu erklärt Wolfram-Arnim Candidus, Präsident der Bürgerinitiative Gesundheit DGVP e.V.:

„Im Gesundheitswesen und in den Medien wird ständig darum gestritten, ob in Deutschland schon jetzt ein genereller Ärztemangel besteht, der sich weiter zuspitzt, oder ob wir im Gegenteil zu viele Ärzte haben, die nur falsch verteilt sind. Die Ärzteschaft stützt sich vor allem auf die Anzahl der unbesetzten Vertragsarzt- und Krankenhausarztstellen, während die Krankenkassen und ihre Verbände sich primär auf die Richtwerte der Bedarfsplanung in der ambulanten Versorgung beziehen. Beide Aussagen hängen letztlich in der Luft. Es gibt keine öffentlich zugängliche valide Datenbasis, die stichhaltige Aussagen über den ambulanten Versorgungs- und Behandlungsbedarf ermöglicht. Die ambulant diagnostizierte und behandelte Morbidität kennen wir nicht genau. Aber nur mit diesen Daten kann man – mithilfe weiterer Kriterien wie z.B. evidenzbasierten Behandlungsleitlinien – den realen, medizinisch indizierten Versorgungs-, Behandlungs- und Betreuungsbedarf verlässlich definieren.“

Die Bedarfsplanungsrichtlinien fußen auf dem Ist-Zustand der ambulanten Versorgung von 1990. Diese Kennzahlen sind aber „organisch gewachsene“ Werte, die nicht auf morbiditäts-orientierten Versorgungsbedarfsanalysen basierten. Außerdem stieg der Anteil der über 65-Jährigen mit erhöhtem medizinischem Versorgungsbedarf seitdem um etwa fünf Punkte auf nunmehr rund 25 Prozent. Die lange heiß umstrittenen ambulanten Kodierrichtlinien hätten in absehbarer Zeit eine empirisch gesicherte Grundlage für fundierte Bedarfsanalysen geschaffen. Der Referentenentwurf will diese jedoch unter dem Aspekt „Beseitigung von Überregulierung“ streichen. So arbeitet die Bedarfsplanung weiterhin mit unsicherer Datengrundlage. Der im Gesetz-entwurf vorgesehene Demografiefaktor reicht jedenfalls nicht aus, um die reale Morbidität abzubilden. So wird z.B. der sozio-ökonomische Einfluss komplett ausgeblendet, obwohl allgemein bekannt ist, dass das Morbiditätsrisiko mit sinkendem Einkommen und Arbeitslosigkeit steigt.

Die aktuelle Bedarfsplanung in der ambulanten Versorgung leidet also an einem gravierenden systemischen Mangel. Gleichwohl steht fest, dass es derzeit den Ärztemangel auf dem Land und in sozialen Brennpunkten der großen Städte gibt. Diese Unterversorgung wird sich mittelfristig weiter verschärfen: die demografische Entwicklung, stetig steigende Zahlen an Chronikern und Multimorbiden sowie der damit einhergehende höhere Versorgungsbedarf spielen ebenso eine Rolle wie wachsende Nachfrage nach Teilzeitstellen – es werden mehr Ärzte benötigt. Nicht zu vergessen, dass fast die Hälfte der Medizinabsolventen entweder außerhalb der ärztlichen Versorgung arbeitet oder zum Praktizieren ins Ausland geht.

Flexibilisierung und Differenzierung der bisherigen zentralen Bedarfs-planungsvorgaben sollen die Unterversorgung lindern. Zudem sollen Ärzte für die Tätigkeit in unterversorgten Gebieten finanzielle Anreize erhalten. Das Vertragsarztrecht soll gelockert werden, um den Betrieb von Zweigpraxen zu erleichtern. Überdies sollen die Krankenhäuser dort verstärkt für die ambulante Versorgung geöffnet werden. Überversorgung soll vor allem durch den erleichterten Ankauf von Praxen durch die Kassenärztlichen Vereinigungen abgebaut werden.

Die Bürgerinitiative Gesundheit DGVP e.V. geht aber von einem bereits bestehenden generellen Ärztemangel aus – nicht zuletzt, weil immer mehr Ärzte, v.a. Fachärzte, auch in „überversorgten“ Gebieten keine neuen Patienten annehmen. Oder die Patienten müssen monatelange Wartezeiten in Kauf nehmen. Die DGVP begrüßt, dass die Politik das Problem „Ärztemangel“ nun endlich angeht.

Es ist jedoch falsch, die ohnehin wuchernde Planungsbürokratie im Gesundheitswesen durch die Einbindung der Länder und Aufsichtsbehörden in die Bedarfsplanung weiter aufzublähen. „Ob mehr Akteure, oft mit partiell gegenläufige Interessen, bessere Planungs-ergebnisse bringen, darf man getrost bezweifeln“, sagt Candidus. „Denn: Viele Köche verderben den Brei. Außerdem besteht zwischen Bedarfsplanung einerseits und Besetzung vakanter Vertragsarztsitze andererseits ein himmelweiter Unterschied. Mit reiner Bedarfsplanung bekommt nun einmal niemand Ärzte dorthin, wo sie gebraucht werden. Vakante Vertragsarztsitze werden nicht zwangsbesetzt. Der Referentenentwurf sieht daher unter anderem vor, Ärzte mit diversen finanziellen Anreizen aufs Land zu locken. Dahinter steht die Überlegung, dass eine Vertragsarztpraxis finanziell auf Dauer überlebensfähig sein muss. Ist die wirtschaftliche Existenz der Praxis nicht gewährleistet, wird jeder Arzt aus nachvollziehbaren wirtschaftlichen Erwägungen heraus abwinken. Besetzbar sind lediglich Vertragsarztsitze, die finanziell attraktiv sind. Das ist wegen der derzeitigen rechtlichen Rahmenbedingungen bei so mancher Landarztpraxis und in sozialen Brennpunkten oft nicht der Fall. Denn die Mehrarbeit, die die betreffenden Ärzte leisten, wird nicht belohnt.“

Fraglich ist jedoch, ob die finanziellen Anreize ausreichen. „Die Attraktivität einer Tätigkeit als Landarzt hängt wahrscheinlich nicht nur vom Geld ab“, so Candidus weiter. „Geld motiviert bekanntlich nicht auf Dauer. Zufriedenheit kommt in erster Linie aus der Tätigkeit selbst. Und die Tätigkeit als Landarzt ist im Vergleich mit der ärztlichen Tätigkeit in der Stadt wesentlich aufreibender, zeitraubender und fordernder. Man denke hier nur an die häufigen Notdienste und die weiten Fahrten bei Hausbesuchen.“

Für die meisten Ärzte ist und bleibt es wohl attraktiver, im städtischen Umfeld als auf dem Land zu praktizieren. Hinzu kommt, dass die Infrastruktur im ländlichen Raum meist schlechter ist. Gerade junge Arztfamilien ziehen aber Praxisstandorte vor, die bessere Chancen für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie bieten. Auch die Wahl zwischen einer Praxis in einem gutbürgerlichen Viertel und einer Praxis in einem sozialen Brennpunkt einer Stadt ist zu beachten.

Und: Wer soll die Subventionen finanzieren, die die Ärzte in strukturschwache Gebiete locken sollen? Die anderen Ärzte wird man kaum dafür begeistern können, einen Teil ihres Honorars abzuzwacken, um die wirtschaftliche Situation der Landärzte und der in sozialen Brennpunkten tätigen Mediziner zu verbessern. Dr. Frank Ulrich Montgomery, Präsident der Bundesärztekammer, hat die Politik jedenfalls bereits unmissverständlich davor gewarnt, einen „innerärztlichen Solidarausgleich“ auch nur zu erwägen. Die Ärzteschaft werde einen solchen Akt als Kriegserklärung betrachten. Eckpunktepapier und Referentenentwurf gehen hierauf jedenfalls nicht ein. Das lässt nur einen Schluss zu: Schwarz-Gelb gedenkt allem Anschein nach, (auch) diese zusätzliche Last allein den Mitgliedern der Krankenkassen = den Versicherten, Bürgern, Patienten in Form von Zusatzbeiträgen aufzubürden.

Ärzte sollen nun nicht mehr verpflichtet sein, im Planungsbezirk zu wohnen. Auch das scheint nur bedingt geeignet, die Zahl der Landärzte zu erhöhen. Ärztliche Tätigkeit und tägliches stundenlanges Pendeln von der Stadt aufs Land und zurück dürften inkompatibel sein. Kaum ein Arzt wird dazu auf Dauer bereit sein. Für Ärzte, die ihre Praxis in einem sozialen Brennpunkt betreiben, der als eigener Planungsbezirk ausgewiesen wird, kann diese Regelung hingegen eine akzeptable Lösung darstellen.

Eigeneinrichtungen der Kassenärztlichen Vereinigungen und der Kommunen auf dem Land können nur funktionieren, wenn sie Ärzte finden, die bereit sind, dort zu wohnen oder zu pendeln. Hier beißt die Katze sich in den Schwanz.

„Krankenhäuser in unterversorgten Gebieten verstärkt in die ambulante Versorgung einzubinden, ist hingegen prinzipiell zielführend“, betont Candidus. „Aber: Wie viele Krankenhäuser wird es in dünn besiedelten Gebieten in Zukunft noch geben? Können sie gemeinsam mit nur noch wenigen Vertragsärzten eine umfassende ambulante Versorgung gewähr-leisten, die die Bezeichnung „wohnortnah“ noch verdient oder müssen Landbewohner sich daran gewöhnen, dass sie vor Ort nur noch ambulante Grundleistungen erhalten, während sie zu fach- und spezialärztlichen Behandlungen reisen müssen? Können „echte mobile Behandlungskonzepte“ eine Alternative sein, bei denen Ärzte unterschiedlicher Fachrichtungen in kommunalen Ärztehäusern Sprechstunden anbieten oder ihre Patienten per „Medimobil“ betreuen?“

Die Bürgerinitiative Gesundheit DGVP e.V. unterstützt die Ziele, durch hieb- und stichfeste Versorgungsbedarfsanalysen nachgewiesene Überversorgungen abzubauen, die Möglichkeiten der Delegation ärztlicher Leistungen zu erweitern und die Telemedizin zu fördern und auszubauen.

Laut Bedarfsplanungsrichtlinien bestehende Überversorgungen müssen allerdings hinterfragt werden. Das Abweisen von Patienten oder monatelange Wartezeiten auf einen Untersuchungstermin auch in den formal über-versorgten Ballungsräumen deuten nämlich nicht gerade auf ein Überangebot an Ärzten hin. Vielmehr muss hier untersucht werden, inwieweit die GKV durch Regulierungen einen nachhaltigen Einfluss auf eine zeitnahe Versorgung/ Behandlung/ Betreuung nimmt – zur Kostenminimierung.

Das Bundesministerium für Gesundheit hält es laut Eckpunktepapier für erforderlich, die Anzahl der Medizin-Studienplätze zu erhöhen. „Wichtiger wäre allerdings ein Appell an alle Akteure im Gesundheitswesen, ihren Beitrag dazu zu leisten, dass frisch ausgebildete Ärzte bei der Stange bleiben. Universitäten und Krankenhäusern kommt hier eine Schlüsselfunktion zu. Sie prägen die Ausbildung und Einstellung, die junge Ärztinnen und Ärzte zum medizinischen Berufsalltag entwickeln.“ Candidus ist der Überzeugung, dass die Kliniken durchgängig moderne, teamorientierte Arbeitsbedingungen ermöglichen sollten und zudem optimale Voraussetzungen für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. „Wenn das realisiert wäre, braucht es uns um den ärztlichen Nachwuchs und damit um die medizinische Versorgungssicherheit nicht bange zu sein“, schließt Candidus.

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