ARAG Rechtsexperte Tobias Klingelhöfer über die Kunst, die unter die Haut geht
Kurze Hosen und knappe Tops zeigen im Sommer, was in der kalten Jahreszeit verborgen geblieben ist: Mittlerweile sind laut einer Allensbach- Studie 13 Prozent der Bevölkerung in Deutschland ab 16 Jahren tätowiert; und der Trend hält weiter an! Tattoos sind demnach längst kein Phänomen mehr, das sich nur in bestimmten Gesellschaftskreisen. Längst haben Tattoos in den unterschiedlichsten Stilrichtungen den Weg aus dem Gaunermilieu und Seemannskneipen in die Mitte der Gesellschaft angetreten. Darum beantwortet der ARAG Rechtsexperte Tobias Klingelhöfer einige Fragen zur Rechtslage rund um die Kunst, die unter die Haut geht.
Tattoo-Studios haben Hochsaison. Welche Voraussetzungen muss ein Tätowierer erfüllen um tätig zu werden?
RA Tobias Klingelhöfer: Das ist schon das erste grundlegende Problem: In Deutschland gibt es keine einheitlich geregelte Festlegung für die Ausbildung. Wer ein Tattoo stechen und dafür Geld nehmen möchte, benötigt kein Zertifikat und keinen Nachweis, dass er oder sie das auch kann. Lediglich ein Mindestalter von 18 Jahren und der Besitz eines Gewerbescheins sind für die Tätigkeit des Tätowierers vorgesehen. Ohne Gewerbeschein ist eine Tätigkeit in Deutschland nicht möglich und kann strafrechtlich verfolgt werden.
Wenn keine Ausbildung nötig ist, wie erkennt man seriöse und gute Tätowierer?
RA Tobias Klingelhöfer: Gute Tätowierer sind gefragt und haben Wartelisten. Werden Sie bei Ihrem ersten Besuch in einem Studio aufgefordert zum Schnäppchenpreis gleich zur Tat zu schreiten, ist Vorsicht geboten. Seriöse Tätowierer haben in der Regel auch ihren eigenen Stil: Behauptet ein Anbieter, alle Tattoo-Stile zu beherrschen, sollte er dies mit einer Fotomappe seiner eigenhändig gestochenen Tattoos unter Beweis stellen. Aushängende Hygienezertifikate, eine gute Beratung und Preise, die nicht zu niedrig angesetzt scheinen, sind Hinweise auf ein gutes Studio…
…aber Garantien gibt es natürlich nicht. Was, wenn ein Tattoo misslingt?
RA Tobias Klingelhöfer: Dann ist der Tätowierer unter Umständen schadensersatzpflichtig. In einem vor dem Oberlandesgericht Hamm entschiedenen Fall, hatte sich eine Frau auf dem Schulterblatt eine farbige Blüte mit Ranken stechen lassen. Der Tätowierer brachte die Farbpigmente in zu tiefe Hautschichten ein. Zudem wich das Ergebnis erheblich vom Entwurf ab und zeigte unregelmäßig dick ausgeführte Linien und Farbverläufe. Eine Nachbesserung durch den Tätowierer lehnte die Kundin ab. Laut Urteil hatte die Kundin aus dem mit dem Tätowierer geschlossenen Werkvertrag einen Anspruch auf ein Schmerzensgeld von 750,00 EUR sowie Ersatz der Aufwendungen, die ihr für die Beseitigung des Tattoos entstehen können. Eine Nachbesserung war der Kundin nicht zuzumuten, weiteren Arbeiten des Tätowierers musste sie angesichts des Umfangs der aufgetretenen Mängel und der notwendigen Nacharbeiten nicht vertrauen (OLG Hamm, Az.: 12 U 151/13). Besonders interessant: Das Stechen eines Tattoos ist eigentlich eine Körperverletzung. Diese wird nur durch die Einwilligung des zu Tätowierenden gerechtfertigt. Diese Einwilligung hat sich im vorliegenden Fall jedoch allein auf ein mangelfrei erstelltes Tattoo bezogen. In einem ähnlichen Fall hatte das Amtsgericht München noch vor einigen Jahren eine Klage abgewiesen und festgestellt, die Voraussetzung für einen Schadenersatzanspruch sei, dass der Tätowierer die Möglichkeit zur Nachbesserung erhält (AG München, Az.: 213 C 917/11).
Ab wann ist es Jugendlichen erlaubt, ihre Körper mit einem Tattoo „verschönern“ zu lassen?
RA Tobias Klingelhöfer: Derzeit gibt es für Tattoos in Deutschland keine gesetzliche Altersgrenze. Das liegt daran, dass man nicht genau sagen kann, ab welchem Alter ein Jugendlicher die Folgen der oben genannten Körperverletzung. Risiken und Langzeitfolgen einschätzen zu können, hängt schließlich vom Alter und von der individuellen Reife des Jugendlichen ab. Der Verein Deutsche Organisierte Tätowierer (DOT) lehnt Tätowierungen für Jugendliche unter 18 Jahren allerdings ab.
Ist ein Tattoo denn heute noch ein Kündigungsgrund?
RA Tobias Klingelhöfer: Da spielen natürlich viele Aspekte eine Rolle; zu allererst Größe und Ort des Tattoos. Ist der Körperschmuck unter der Arbeitskleidung verborgen, stellt er natürlich keinen Kündigungsgrund dar. Hat ein Arbeitgeber bei der Einstellung vom Vorhandensein der Tätowierung gewusst, kann er später damit auch keine Kündigung begründen. Anders sieht es allerdings bei Neueistellungen aus, wenn Tattoos in Arbeitskleidung sichtbar sind. Der Arbeitgeber ist Herr des Arbeitsbereichs, er kann bestimmen, welches Unternehmensbild er in der Öffentlichkeit vermitteln will. Besonders strenge Regeln gelten auch für die Angestellten des öffentlichen Dienstes und für Beamte. Das Verwaltungsgericht Darmstadt hat daher in einem Eilverfahren entschieden, dass die Bundespolizei zu Recht eine Bewerberin wegen ihrer großflächigen Tätowierung am rechten Unterarm abgewiesen hatte (VG Darmstadt, Az: 1 L 528/14.DA.). Gegen diese vorinstanzliche Entscheidung hatte sich die abgelehnte Bewerberin noch gewehrt. Sie argumentierte damit, dass die Entscheidung der Behörde ihre verfassungsgemäßen Rechte auf freie Entfaltung der Persönlichkeit, Berufsfreiheit und Zugang zu jedem öffentlichen Amt verletze. Dem gaben die Richter im weiteren Verlauf nicht statt.
Heißt das: Keine Tattoos im Staatsdienst?
RA Tobias Klingelhöfer: Nicht unbedingt! In einem anderen Fall bewarb sich die 1983 geborene Antragstellerin um die Einstellung zur Ausbildung als Justizhauptwachtmeisteranwärterin. Die Präsidentin des Kammergerichts lehnte ihre Bewerbung mit der Begründung ab, dass ihre fünf mal drei Zentimeter große Tätowierung beim Tragen der Dienstkleidung sichtbar sei. Das zuständige Verwaltungsgericht verpflichtete die Behörde, über die Bewerbung erneut zu entscheiden. Die kleine Tätowierung weckte nach Ansicht der Richter keine Zweifel an der persönlichen Eignung der Bewerberin (VG Berlin, Az.: VG 36 L 83.15).
Aber in der Freizeit gilt der Grundsatz, „erlaubt ist, was gefällt“, oder?
RA Tobias Klingelhöfer: Vorsicht! Zwar sind Tattoos nicht mehr Seefahrern und Sträflingen vorbehalten. Aber dafür haben andere dubiose Kreise den Körperschmuck für sich entdeckt. So hatte zum Beispiel ein 27-jähriges NPD-Mitglied sein Tattoo im Schwimmbad sichtbar getragen. Die Tätowierung am unteren Rücken zeigt das Gebäude eines Konzentrationslagers, darunter ist in gotischer Schrift „Jedem das Seine“ zu lesen. Der Spruch stand am Haupttor des Konzentrationslagers Buchenwald. Die Staatsanwaltschaft forderte 10 Monate Haft wegen Volksverhetzung. Das Urteil fiel in einem beschleunigten Verfahren milder aus, denn Tattoos dieser Art sind nicht an sich strafbar. Der Staatsanwalt wird nur tätig, wenn ihre Träger sie öffentlich zeigen. Solange der Mann ein T-Shirt überzieht, gibt es – zumindest juristisch – kein Problem.
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