Rund 50 Fachleute waren der Einladung der Fakultät für Tourismus an die Hochschule München gefolgt, darunter Wissenschaftler ebenso wie Vertreter aller wichtigen Teilbranchen des alpinen Tourismus: Bergbahnbetreiber, Destinationentwickler, Hoteliers, Veranstalter, Regionalpolitiker, Naturschützer und Verbraucher. Die Forscher stellten Ergebnisse der angewandten wissenschaftlichen Forschung (Delphi-Studie, Quellmarktbefragung, Netzwerkanalyse) sowie aus Workshops mit Praktikern in Tirol, Wallis/Graubünden, Bayern und Südtirol vor. Die Erfahrungen aus verschiedensten alpinen Tourismusregionen, die sich in Höhe, Lage, bestehender Infrastruktur, ökonomischem Wohlstand, aber auch durch mehr oder weniger gute Zusammenarbeit vor Ort unterscheiden, wurden diskutiert. Eines der Ergebnisse lautete: Anbieter sollten versuchen, die Klimawirkung innerhalb dieser Angebote zu optimieren, anstatt Klimaschutz als Hauptaspekt zu vermarkten.
Die Hochschule für Technik Rapperswil befragte in einer alpenweiten Delphi-Studie Experten zu veränderter Nachfrage, Anpassungsstrategien und Hauptakteuren im alpinen Sommer- und Wintertourismus. Die Befragten standen ordnungspolitischen Strategietypen wie Verboten skeptisch gegenüber. Vielmehr favorisierten sie auf Freiwilligkeit basierende Strategien, etwa durch Marktanreize. Als wichtigste Akteure für die Anpassung nannten die Experten Gemeinden, Regionen und Tourismusdestinationen. Während ein Großteil der Gäste das Problem Klimawandel anerkenne, glauben die Fachleute, dass nur eine Minderheit bereit sei, das Urlaubsverhalten zu ändern beziehungsweise sich an den Klimawandel anzupassen.
Ähnlich war das Bild bei der Quellmarktanalyse, wofür die Fakultät für Tourismus der Hochschule München deutsche Urlauber befragen ließ: „Ändern potentielle Alpen-Gäste ihre Reiseentscheidungen aufgrund des Klimawandels?“ Die Vorstudie ergab: Derzeit blenden Urlauber die Folgen des Klimawandels und nötige Anpassung weitgehend aus, setzen kaum auf Verzicht und selten auf nachhaltigen Tourismus, sondern eher auf „wie bisher“ oder sogar auf „erleben, solange es noch geht“. Für die Zukunft erwarten die Münchner Tourismusforscher eine stärkere, allerdings wohl eher kostengetriebene Anpassung, zum Beispiel durch die Wahl anderer, näherer Reiseziele, weniger Flugreisen und weniger energieintensive Reisen. Im Herbst werden die ersten Ergebnisse der repräsentativen Befragung vorliegen.
Die Unsicherheit der Verbraucher sowie die Kluft zwischen deren Bewusstsein und Handeln sprach auch der Hauptredner des ersten Symposiumtages an. Ron Schmid von der Vereinigung der BIO-Hotels erklärte pragmatisch: „Wir können den Gast mit seiner diffusen Angst nicht allein lassen. Notfalls müssen wir ihm die Entscheidung abnehmen, und es einfach tun.“
Das Projektteam der Hochschule Chur entlarvte Kommunikationsmängel als Stolpersteine im alpinen Tourismus, „Kirchturmpolitik“ verhindere häufig gemeinsame Aktivitäten. In der Gotthard-Region untersuchten die Schweizer anhand einer „Netzwerkwolke“ und in Workshops, wer mit wem wie intensiv kommuniziert. Schwachstellen zwischen den „big fish“ und kleineren Partnern wurden deutlich und Verbesserungen angeregt, wie man die Bevölkerung vor Ort für einen Erneuerungsprozess gewinnt. Aufbruchsstimmung in der Region herrscht derzeit jedoch eher durch das Großprojekt „Andermatt Swissalps“, das den Themenbereich Klimawandelanpassung allerdings in den Hintergrund stellt.
Die Universität Innsbruck führte in zwei Tiroler Pilotregionen (Wilder Kaiser, Stubaital) und im Vorarlberger Brandnertal Workshops mit Praktikern durch. Die erste Workshop-Runde spiegelte die völlig unterschiedlichen Ausgangsbasen und Ausrichtungen der Destinationen wider, während in der zweiten Workshop-Runde Schlagworte wie „Regionalität/Authentizität“, „Gesundheit“, „Natur“ im Rahmen einer möglichen angepassten Tourismusausrichtung in allen drei Regionen genannt wurden. Die Ergebnisse beider Workshop-Runden werden bis Herbst in Empfehlungen umgesetzt.
In Bayern zeigt das Alpenforschungsinstitut (AFI) zwei weitere praktische Ansätze auf: Gemeinsam mit der Gemeinde Grainau entwickelte es einen alpinen Naturerlebnispark unterhalb der Zugspitze, wo Gäste ab Ende 2011 mit allen Sinnen erfahren können, wie sich das Leben als auch das Klima im Laufe der Zeit gewandelt haben. So zielt Grainau neben den klassischen Ski-Touristen auf neue Gästeschichten. Parallel dazu beleuchtete das AFI, welche Chancen und Risiken ein Naturpark rund um das Karwendel auf bayerischer Seite birgt.
Insgesamt arbeiten in ClimAlpTour 22 höchst unterschiedliche Modellregionen mit: Von hochalpinen Lagen wie Monte Rosa bis zu Talorten wie Kranjska Gora, von klassischen Wintersportorten wie Val d“Isère bis zu Ganzjahreszielen wie dem Hochpustertal. Das Team der Hochschule München erstellte gemeinsam mit dem Institut de la Montagne Ortsprofile und Produktportfolien und befragte dazu im Jahr 2010 Leistungsträger und Besucher zu Investitionsklima, Preiselastizität oder Arbeitsmarktstruktur. Dabei unterschieden sich die Ergebnisse zwischen Sommer- und Winterdestinationen ebenso deutlich wie zwischen Tourismuspartnern und Besuchern. So gaben sich die Gäste zum Beispiel weniger preissensibel, als die Leistungsträger befürchteten. Immerhin gaben 47% der Besucher in Sommerorten an, dass sie trotz einer Verteuerung der Kosten aufgrund von Klimaschutzmaßnahmen dem Urlaubsort treu bleiben würden, die Gastgeber erwarteten das nur zu 10%.
„Alpine Destinationen laden wir ein, die Erfahrungen aus den Pilotregionen zu nutzen, mit ihrer eigenen Situation zu vergleichen, individuelle Strategien festzulegen und in der Region zu verankern“, erklärte Projektleiter und Gastgeber des Symposiums Professor Dr. Felix Kolbeck. Vertretern aus Politik, von Verbänden und aus der Verwaltung bat er, angesichts der Heterogenität des Alpenraums eine Vielzahl verschiedener Anpassungswege zuzulassen und zu fördern. Der Fokus sollte dabei eher auf Anpassung, als auf Vermeidung liegen. Tourismuspartner rief Kolbeck zur Zusammenarbeit auf und betonte: „Der Gast will keinen „Klimaurlaub“ machen, also die Klimaverträglichkeit als Leitmotiv seines Urlaubs haben, sondern in für ihn attraktiven Themen angesprochen werden, wie etwa Ernährung, Sport, Wellness. Daher sollten die Anbieter versuchen, die Klimawirkung innerhalb dieser Angebote zu optimieren anstatt Klimaschutz als Hauptaspekt zu vermarkten.“
Das Nachhaltigkeits-Paradigma aus „ökologisch-ökonomisch-sozial“ könnte man laut Kolbeck für den Tourismus umformulieren in: Rentabilität (für die Anbieter), Urlaubsqualität (für den Gast) und Lebensqualität (für die Bevölkerung). Johannes Reißland, Geschäftsführer des forum anders reisen e.V. beschrieb den Ansatz des nachhaltigen Tourismus dagegen gemäß einer asiatischen Weisheit: Mit Feuer kann man Suppe kochen oder das ganze Haus abbrennen. Wir wollen Suppe kochen.“
Alle Vorträge des Tourismus-Symposiums sind ab 27. April 2011 unter Download erhältlich. Insgesamt arbeiten im Projekt ClimAlpTour 17 Partner, davon elf Forschungsinstitute mit 22 Modellregionen aus dem gesamten Alpenraum zusammen. ClimAlpTour wird von Mitteln des EU-Alpenraumprogramms gefördert und Ende 2011 abgeschlossen.
Foto: Leonhard Angerer
Fakultät für Tourismus an der Hochschule München
Die Forschungsstrategie der Fakultät konzentriert sich auf Themen der nachhaltigen Entwicklung im Tourismus. Prozesse wie der Klimawandel, der demografische Wandel oder die Finanz- und Wirtschaftskrise spielen dabei eine große Rolle. ClimAlpTour ist bereits das zweite EU-Projekt, an dem sich die Fakultät beteiligt.
Die Fakultät ist eine der größten, betriebswirtschaftlich ausgerichteten Fakultäten für angewandte Wissenschaften in Deutschland. 970 Studentinnen und Studenten, 18 Professoren und circa 60 Lehrbeauftragte studieren und forschen hier gemeinsam im Bereich Tourismus.
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