Kein Weisungsrecht für Betriebsrat

Die Betriebsparteien können die normative Geltung einer von ihnen geschlossenen Betriebsvereinbarung nicht an ein Zustimmungsquorum der Normunterworfenen binden.
(Amtlicher Leitsatz)
BAG Beschluss vom v. 28.7.2020 – 1 ABR 4/19

Die Arbeitgeberin erbringt logistische Dienstleistungen. Im Februar 2007 schloss sie mit dem Betriebsrat eine „Betriebsvereinbarung über variable
Vergütung im Lager“ (im Folgenden: BV)
Die variable Vergütung war abhängig von der Leistung und der Anwesenheit der Arbeitnehmer und konnte u.a. bei krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers gekürzt werden.
10 Jahre später leitete der Betriebsrat ein Beschlussverfahren ein, in dem er u.a. die Unwirksamkeit der Betriebsvereinbarung geltend machte.
Wie sich aus der Entscheidung der Vorinstanz (LAG München – 3 TaBV 6/18) ergibt, war ursprünglich vor Abschluss der BV in den Arbeitsverträgen vereinbart, dass eine Leistungs- und Anwesenheitsprämie in Höhe eines bestimmten Betrages gezahlt wird. Weitere Voraussetzungen für die Prämienzahlung bestanden nicht.
In § 10 BV verzichtete die Arbeitgeberin bis zum 30.6.2010 auf betriebsbedingte Kündigungen gegenüber denjenigen Beschäftigten, die der
Neuregelung in der BV zustimmten. Insoweit wurde in § 12 BV vereinbart, dass die BV am 1.7.2007 unter der Bedingung in Kraft tritt, dass (mindestens) 80 % der Belegschaft der BV einzelvertraglich zugestimmt haben. Vereinbart wurde ferner, dass die BV nach einer Kündigung nachwirkt.
87 % der Beschäftigten erklärten ihre Zustimmung. Nach Kündigung der BV durch den Betriebsrat im Jahr 2012 kam eine neue BV nicht zustande.
Das BAG prüft zunächst, ob es sich bei der Betriebsvereinbarung in Wirklichkeit um eine Regelungsabrede handelt und verneint dies zum einen,
weil sie schriftlich abgeschlossen wurde (§ 77 Abs. 2 S. 1 BetrVG) und zum anderen, weil sich nach ihrem Inhalt unmittelbare Ansprüche daraus
ergeben.
Als Betriebsvereinbarung konnte die Vereinbarung jedoch nicht wirksam abgeschlossen werden, da die in § 12 BV getroffenen Regelung mit dem normativen Geltungsanspruch für Betriebsvereinbarungen unvereinbar ist. Nach § 77 Abs. 4 S. 1 BetrVG gelten Betriebsvereinbarungen unmittelbar und zwingend.
„Unmittelbarkeit“ bedeutet, dass sie wie Gesetze von außen, d.h. unabhängig von der Kenntnis und dem Willen der Arbeitsvertragsparteien, auf das Arbeitsverhältnis einwirken. Da diese normative Wirkung mit dem vorgeschalteten Zustimmungsquorum und den arbeitsvertraglichen Änderungsvereinbarungen ausgeschaltet werden sollte, ist § 12 BV, so das BAG, unwirksam.
Die Unwirksamkeit ergebe sich auch daraus, dass der Betriebsrat nicht an Weisungen der Belegschaft gebunden sondern ihr Repräsentant sei.
Ist aber die Einzelregelung über das Inkrafttreten der BV unwirksam, können auch die übrigen Reglungen keinen Bestand haben. Damit ist die BV insgesamt unwirksam.

Fazit
Die Entscheidung hat nur die Verkoppelung der Wirkung einer Betriebsvereinbarung mit dem Abschluss arbeitsvertraglicher Änderungen zum Gegenstand. Sie betrifft nicht inhaltliche Verknüpfungen zwischen einer Betriebsvereinbarung und arbeitsvertraglichen Vereinbarungen. Ihre praktische Bedeutung ist dennoch nicht zu unterschätzen: eine Beschäftigungsgarantie wird im Gegenzug für Verschlechterungen bei der Vergütung gewährt. In Zeiten, in denen Betriebseinschränkungen und Personalabbau drohen, ist die Betriebsvereinbarung – insbesondere in nicht tarifgebundenen Unternehmen – ein naheliegender und praktikabler Weg auch für den Betriebsrat und die Beschäftigten.
Der vorliegende Fall zeigt jedoch, wie gefährlich dieser Weg sein kann. Wegen der vereinbarten Nachwirkung galt die verschlechternde Vergütungsvereinbarung auch nach Ablauf der Beschäftigungsgarantie und Kündigung der BV weiter.
Ingrid Heinlein, Vors. Richterin a. LAG a.D,
Rechtsanwältin,
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