Alle Jahre wieder, ruft der Weihnachtsmarkt. Neben dem verlockenden Geruch nach gebrannten Mandeln und Bratwürstchen sind die Glühweinstände magische Anziehungspunkte eines jeden Marktes. Fast egal, zu welcher Tageszeit man hingeht, die Theken sind belagert. Wofür? Ein süßes, weinartiges Getränk, bei dem einem die Vorahnung auf Kopfweh in die Nase steigt. Aber dennoch – zu einem gelungenen Weihnachtsmarktbesuch gehört ein Abstecher zum Glühweinstand dazu. Was das ist, das dieses Getränk die Menschen in der Vorweihnachtszeit so magisch anzieht, darüber sprachen wir mit dem Kulturtheoretiker Dr. Sacha Szabo vom Institut für Theoriekultur.
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Warum ist der Glühwein so beliebt?
Sacha Szabo: Ganz so einfach, wie man auf den ersten Blick mutmaßt, dass Glühwein eine süße billige „Plörre“ ist, die „heftig birnt“, ist es nicht. Es ist schon bemerkenswert, dass es für die Weihnachtsmärkte ein nahezu exklusives Getränk gibt. Der Glühwein selbst steht in der Tradition der Würzweine, die wir schon bei den antiken Bachanalien kennen, nur dass dort noch heftigere Zutaten, wie Bilsenkraut oder Alraune dazugegeben wurde, die halluzinogene Zustände hervorriefen.
Was ist denn ein typisches Glühweinrezept?
Sacha Szabo: Heutzutage nimmt man meist einen Rotwein, im Idealfall einen etwas besseren. Dieser wird mit Wasser vermischt. Jetzt kommen die eigentlich spannenden Gewürze, nämlich der Saft einer Zitrone, Zitronen und Orangenscheiben und dazu Zimtstangen und Gewürznelken und nicht zuletzt eine gehörige Portion Zucker.
Gerade diese Gewürze lassen den Glühwein zu einem besonderen Getränk werden, da sie vom Mittelalter bis in die frühe Neuzeit sehr kostbare Gewürze waren und aus dem Orient importiert werden mussten. Insofern ist der Glühwein auch ein typisches „Markt-Getränk“, da auf den Märkten diese Gewürze leichter verfügbar waren.
Ein Markt-Getränk?
Sacha Szabo: Den Begriff des „Markt-Getränkes“ habe ich eben aus Verlegenheit gewählt um zu zeigen, dass dieses Getränk fest mit dem Markt verbunden ist. Wenn wir nun kurz bei dem Markt verweilen, so fanden diese Märkte anfangs oft auf dem Kirchvorplatz statt an einem Datum, das häufig mit dem Namenstag eines Heiligen oder einem kirchlichen Ereignis verbunden war. Gerade Weihnachten als Datum von Christi Geburt und einer der höchsten Feiertage im römischen Feierkalender stellt hier ein besonderes Ereignis dar. Auch die Tage davor waren relevant. Interessant ist nun, dass ein kirchliches Fest mit der Erzeugung von Rauschzuständen in Korrespondenz steht.
Wie können wir das verstehen?
Sacha Szabo: Anfangs waren religiöse Erlebnisse auch immer Erlebnisse des Außeralltäglichen, des Jenseits, dies wurde sukzessiv durch symbolische Handlungen kultiviert und – wenn man so will – der archaische, anarchische, ekstatische Rausch verlagerte sich nun auf den Kirchvorplatz. Der Rausch wird als eine Form des „Außer-Sich-Seins“ verstanden. Im Unterschied zu vielen pathologischen Alkoholmissbräuchen findet der Glühweingenuss in einer sozialen Gruppe statt. Ja, die Kälte selbst sorgt dafür, dass man noch näher zusammenrückt. Damit ist der Glühwein der soziale Kitt einer Feiergemeinschaft.
Der Glühwein als Symbol der Verlagerung des Rausches aus der Kirche, das scheint uns sehr weit hergeholt.
Sacha Szabo: Meine letzte Definition ist etwas haarspalterisch, weil ich zwischen Fest und Feier sehr streng trenne. Wir können die Unterscheidung so treffen, dass in der Kirche eine Feiergemeinschaft existiert, die sich über einen gemeinsamen Wertekanon definiert und dies mittels bestimmter Rituale, etwa dem Abendmahl, zelebriert. Auf dem Kirchvorplatz haben wir es mit einer Art Fest zu tun. Bei einem Fest versichern sich Individuen ihrer Gemeinschaft. Bei dieser Gemeinschaft werden nun auch bestimmte Elemente der kirchlichen Liturgie entlehnt, profanisiert, sie werden dem Menschen verständlich. Hier steht der Glühwein in der Funktion eines profanen Messweins. Zugespitzt könnte man sagen, er lehnt sich mit der Farbe und auch durch die Wärme an das Blut Christi an. Aber lassen wir diese möglichen Überdeutungen, letztlich ist die Versammlung von Menschen an den Ständen des Weihnachtsmarktes eine unreglementierte, volkstümliche Art von Gemeinschaft und Kommunion bedeutet erstmal auch nichts anderes als Gemeinschaft.
Wenn Sie soviel über Glühwein nachgedacht haben, trinken Sie dann überhaupt noch welchen?
Sacha Szabo: Die Begeisterung für das Thema Glühwein entstand tatsächlich, als ich mich einmal von dem Zauber eines Weihnachtsmarktes einfangen ließ, der ja leider oft durch den überbordenden Kommerz und den Stress, den durchdrängende Menschenmassen ausstrahlen, überdeckt wird. Und mir fiel auf, dass sich unter diesem ganzen profanen Kommerz eine symbolische Ebene verbirgt, die vielen gar nicht mehr bewusst ist, die Weihnachten letztlich als profanes Event betrachten. Mit dem Wissen um die symbolische Grundstruktur, die diesem Fest zugrunde liegt, verzaubert sich der entzauberte Weihnachtsmarkt aufs Neue.
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Zur Person:
Sacha Szabo (geb. 1969) studierte Germanistik, Philosophie und Soziologie und schloss mit dem Magister ab. Er promovierte anschließend über Vergnügungswelten wie Kirmes und Jahrmärkte. Aus dieser Forschung sind viele Ableger entstanden, wie etwa das aktuell erschienene Buch über den Ballermann. („Ballermann. Das Buch. Phänomen und Marke“). Es sind besonders die Alltagsgegenstände und die Alltagsphänomene, die es Szabo angetan haben. So entstanden auch Arbeiten über Spielzeug, Computerspiele oder Filme. Nach mehreren Lehraufträgen an der Universität Freiburg leitet er gegenwärtig das Institut für Theoriekultur Freiburg, ein loses Netzwerk von Kulturschaffenden. Mit seinem profunden Wissen über Alltagskulturen und deren Sinndimensionen ist er ein gefragter Gesprächspartner für Funk und Fernsehen.
Publikationen (Auswahl)
„“Sascha Arschloch“ Leben und Werk des Lyrikers Sascha Anderson“ (2002), „Rausch und Rummel. Attraktionen auf Jahrmärkten und in Vergnügungsparks. Eine soziologische Kulturgeschichte“ (2006). „Unterhaltungswissenschaft. Populärkultur im Diskurs der Cultural Studies“ (2008), „Kultur des Vergnügens: Kirmes und Freizeitparks – Schausteller und Fahrgeschäfte. Facetten nicht-alltäglicher Orte“ (2009), „Brand Studies: Marken im Diskurs der Cultural Studies“ (2009)
Kontakt:
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Hans Braun
In der Breige 9
79189 Bad Krozingen
mail@institut-theoriekultur.de
fon: 0157/ 822 60 601
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Wir werben für eine Wissenschaft von der Unterhaltung, die gleichermaßen unterhält. Unsere Forschungen behandeln Alltagsartefakte und Alltagsphänomene. Im Rahmen unserer Arbeit übernehmen wir auch Aufträge zum Theoriedesign und Theorieconcepting. Dies betrifft die wissenschaftliche Erarbeitung eines Produkts oder einer Dienstleistung bzw. eines Unternehmens. Dazu gehören Publikationen, Workshops und Kongresse. Also das komplette Spektrum einer Theorieinstallation. Allerdings machen wir keine Werbung, sondern lassen uns nur sponsern, um die wissenschaftlich Objektivität unserer Ergebnisse zu gewährleisten. Wer also Werbung will, ist bei uns an der falschen Adresse, wer UnternehmensKULTUR sucht, der ist bei uns genau richtig.
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