EU-Parlament stimmt über Informationen zu Lebensmitteln ab ? Ernährungsindustrie setzt sich in fast allen Punkten durch ? Etikettenschwindel wird weiter gehen
06.07.2011
Das Europäische Parlament stimmt heute endgültig darüber ab, welche Informationen Verbraucher in Zukunft beim Einkauf bekommen müssen. Die geplanten Regelungen bringen für die Verbraucher kaum Fortschritte. Auf den Produkten werden sie nicht viel mehr Informationen finden als jetzt. „Keine Angaben zu den Nährwerten auf der Vorderseite, keine Informationen zur Herkunft außer bei Frischfleisch, Mini-Schrift von 1,2 oder sogar nur 0,9 Millimetern. Wer auf der einen Seite immer vom ?mündigen Verbraucher? spricht, dann aber solche Gesetze macht, verhöhnt die Bürger Europas“, so Matthias Wolfschmidt, stellvertretender Geschäftsführer der Verbraucherorganisation foodwatch. Nach jahrelangen Diskussionen haben sich EU-Parlament, Ministerrat und Kommission im Vorfeld auf einen Kompromiss geeinigt, dem das Parlament heute mit großer Wahrscheinlichkeit zustimmen wird.
Folgende Regelungen sind geplant:
Nährwertkennzeichnung: Für die Angabe von Nährwerten wie Zucker, Fett und Salz soll nicht nur auf die leicht verständliche Kennzeichnung mit den Ampelfarben verzichtet werden. Auf der Vorderseite sollen Verbraucher dazu gar keine Informationen finden. Lediglich für die Rückseite sollen Zahlenangaben in einer Tabelle vorgeschrieben werden. Hersteller können den Verbrauchern also weiterhin auf der Produktvorderseite „Fitness“ und „leichte Zwischenmahlzeiten“ versprechen, die Nährwerte aber auf der Rückseite im Kleingedruckten verstecken. Immerhin müssen sich die Angaben dort auf einheitliche 100 Milligramm bzw. Milliliter beziehen.
foodwatch hatte sich für die Kennzeichnung des Gehaltes von Zucker, Fett, gesättigten Fettsäuren und Salz auf der Produktvorderseite mit den Ampelfarben eingesetzt. Damit wären Fett- und Zuckerbomben im Supermarkt selbst für Kinder auf einen Blick zu erkennen. Um die Ampelkennzeichnung zu verhindern, hatte die Industrie bereits im Vorfeld der ersten Abstimmung im Europaparlament im Juni 2010 eine Milliarde Euro investiert.
Herkunftskennzeichnung: Nur bei Frischfleisch soll die Angabe der Herkunft Pflicht werden. Verbraucher werden also weiterhin nicht erfahren, in welcher Region die Kühe auf der Weide standen, deren Milch sie kaufen; sie werden nicht erfahren, woher das Fleisch stammt, aus dem die Wurst ist oder woher die Erdbeeren in der Marmelade kommen.
Der ursprüngliche Vorschlag des Parlamentes vom Juni 2010 enthielt deutlich weitergehende Regelungen. Der Spitzenverband der deutschen Ernährungsindustrie (BLL) hatte dem Parlament für seine Entscheidung damals einen Tadel ausgesprochen: „Das Votum für eine verpflichtende Herkunftskennzeichnung von Zutaten bei verarbeiteten Lebensmitteln rügte der BLL dagegen als zu weitgehend“, hieß es in einer Pressemitteilung vom 16. Juni 2010.
„Dass die Industrie ihre Position über den Ministerrat nun durchsetzen konnte, zeigt, wie die Machtverhältnisse in Europa liegen. Industrievertreter rüffeln das Parlament und verhindern durch Alibizugeständnisse Regelungen im Sinne der Verbraucher“, so Matthias Wolfschmidt. Die nötigen Informationen, um bewusste Kaufentscheidungen zu treffen, bekämen die Verbraucher auch mit der neuen Verordnung nicht.
Schriftgröße: Die Berichterstatterin des Europäischen Parlaments Dr. Renate Sommer (CDU) jubelte in einer Pressemitteilung: ?Alle Pflichtangaben müssen in Zukunft lesbar sein.? „Wenn das schon als Fortschritt für die Verbraucher gefeiert wird, ist das entlarvend“, so Wolfschmidt. Bei einer Schriftgröße von 1,2 Millimetern (oder sogar nur 0,9 Millimetern bei kleineren Packungen) würden viele Menschen weiter Probleme haben, die Inhaltsangaben ohne Lupe zu entziffern. Von einer guten Lesbarkeit könne keine Rede sein.
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