Eliten-Versagen: ‚Wir gefährden unsere Erfolge‘

Hamburg (pressrelations) –

Eliten-Versagen: „Wir gefährden unsere Erfolge“

Warum verstehen sich Wirtschaft und Politik so schlecht? BDI-Hauptsgeschäftsfüherer Markus Kerber warnt vor einer um sich greifenden „marktfeindlichen Stimmung“. Deutschland sei auf dem Weg in eine „immer stärker gelenkte Marktwirtschaft“.

mm: Herr Kerber, im aktuellen manager magazin berichten wir über eine neue Studie zum Führungsverständnis in Deutschland. Eines der Ergebnisse lautet: Topmanager werden von Politikern, Professoren und anderen Eliten sehr skeptisch beurteilt – sie werden als egoistisch bezeichnet, als nicht am Wohl der Gesellschaft orientiert? Kerber: ?wissen Sie, diesem Thema begegne ich allmählich mit einem gewissen Zynismus.

mm: Warum?

Kerber: Weil es wohl kein anderes westliches Land gibt, in dem die Eliten verschiedener Bereiche so kritisch miteinander umgehen wie Deutschland. Politiker schimpfen auf die Manager, Manager auf die Politik. So kommen wir nicht weiter.

mm: Sie persönlich kennen ja die Bereiche inwendig – Sie waren Investmentbanker, Finanzvorstand, Abteilungsleiter im Ministerium, jetzt sind Sie Hauptgeschäftsführer beim BDI. Woher rührt die wechselseitige Verachtung?

Kerber: Wir müssten in Deutschland gesellschaftlich viel stärker interdisziplinär arbeiten. Zu viele sitzen mit Scheuklappenblick in ihrem Silo. Das findet man nirgendwo sonst. In angelsächsischen Ländern gibt es z. B. Colleges, wo Verbindungen geknüpft werden, die auch später einen Austausch zwischen den verschiedenen Disziplinen ermöglichen. Bei uns findet oft mit dem Eintritt in die Hochschule, spätestens mit dem Berufseintritt, eine wechselseitige Abschottung statt. Erschwerend kommt hinzu, dass andere, die gesellschaftlichen Gruppen übergreifende Institutionen – Kirchen, Gewerkschaften, Parteien, Wehr- und Zivildienst – an Bedeutung verlieren.

2. Teil: „Wir sind auf dem Weg in eine immer stärker gelenkte Marktwirtschaft“ mm: Das Resultat ist in der Studie zu besichtigen: Deutschland wird zwar derzeit überall im Westen für seine ökonomischen und sozialen Erfolge beneidet – aber hierzulande scheinen die Eliten zerstritten zu sein wie selten zuvor.

Kerber: Es lohnt sich, gelegentlich ins Ausland zu fahren, um ein realistisches Bild unseres Landes zu erhalten. Dort werden wir bewundert. Es stimmt schon: Wir sind enorm erfolgreich – was nebenbei bemerkt auch der Stärke und dem Erfolg unserer Industrieunternehmen zu verdanken ist. Aber was fehlt, ist ein Bewusstsein für unsere gemeinsamen Interessen.

mm: Sie fordern von den Eliten mehr Patriotismus?

Kerber: Wenn Sie es so ausdrücken wollen. Wie können wir gemeinsam dieses Land – und Europa – voranbringen? Wohin können wir Deutschland und Europa führen? Was ist unser Interesse? Das sind Fragen, die unsere europäischen Nachbarn viel eher im Stande sind zu beantworten als wir.

mm: Aber Großbritannien, Frankreich oder Italien stehen ja nicht sonderlich gut da. Gerade im Vergleich zu Deutschland. So erfolgreich agieren die dortigen Eliten ja nicht gerade.

Kerber: Das ist einerseits richtig – wir Deutschen sind nun mal notorische Pessimisten. Wenn ich aber andererseits die marktfeindliche Stimmung gerade in der Politik – sogar in Teilen des bürgerlichen Lagers – sehe, dann befallen mich schon Zweifel, ob wir auch weiterhin so erfolgreich bleiben können. Ich sehe die Gefahr, dass wir auf dem Weg sind in eine immer stärker gelenkte Marktwirtschaft.

mm: Ist diese Angst nicht reichlich überzogen?

Kerber: Keineswegs. Die Politik ist dabei, aus der Finanzkrise den falschen Schluss zu ziehen, dass man dem Marktmechanismus und seinen Resultaten prinzipiell nicht trauen kann. Es gibt aber einen großen Unterschied zwischen den Finanzmärkten und, sagen wir, den Energiemärkten. Aber solche analytischen Feinheiten sind kaum noch vermittelbar.

mm: Beide von Ihnen genannten Märkte bedürfen staatlicher Regulierungen, weil der Wettbewerb von allein nicht richtig funktioniert. Darüber gibt es doch Konsens.

Kerber: In der Tat: Der Staat muss gewährleisten, dass es Wettbewerb gibt. Und er muss sicherstellen, dass diejenigen, die Risiken eingehen, auch dafür haften. Das war und ist der grundlegende Fehler im Finanzsystem: Investmentbanken sollten sich fragen, weshalb früher riskantes Finanzgebahren so organisiert war, dass die Handelnden persönlich für Fehler haften. Wer den Nutzen hat, muss auch den Schaden tragen. Man muss auch im Jahr 2012 nicht an der Weitsicht Walter Euckens zweifeln.

mm: Herr Kerber, ganz grundsätzlich gefragt: Braucht eine Gesellschaft eigentlich Eliten?

Kerber: Es braucht zur Führung befähigte Menschen, die bereit sind, für sich selbst und andere Verantwortung zu übernehmen, Orientierung zu geben – die für die Gemeinschaft etwas erreichen wollen.

3. Teil: „Es geht um Wohlstand, Aufstiegsmöglichkeiten, Zufriedenheit!“

mm: Mit dem Wort „Elite“ tun Sie sich, wie viele in Deutschland, schwer?

Kerber: Nein. Ich halte nur die Begrifflichkeit nicht für so wichtig, wie die Führungs- und Vorbildaufgabe, die diese Personengruppe in jeder Gesellschaft erfüllen muss. Eine Aufgabe, die eher Dienst als Lust zum Inhalt hat.

mm: Und das sehen Sie heute nicht?

Kerber: Nein. Was mich beunruhigt, ist die wirtschaftsfeindliche Stimmung: Anstatt zu fragen, wie wir gemeinsam noch mehr aus diesem Land und aus Europa machen können, gefährden wir das Erreichte.

mm: Sie haben eben von Orientierung gesprochen. Was meinen Sie damit?

Kerber: Ich sehe Defizite gerade in der Europa-Politik. Es gibt zum Glück in der Bundesregierung erfahrene Minister, die sich Gedanken darüber machen, welche Form die EU oder die Euro-Zone künftig annehmen sollten: wieviel Föderalismus wir realisieren sollten, welche staatliche Ebene, welche Institution für was zuständig sein sollte? Das ist ein rechtstechnischer Ansatz, aber noch keine inhaltliche Orientierung. Wir müssen den Bürgern Europas erklären, wie das Europa 2020 aussehen soll, mit welchem wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Modell die Menschen in Lissabon, Athen, Kopenhagen oder Berlin ihren Platz in der Welt einnehmen sollen.

mm: Also zu viel Technokratie in Politik und Wirtschaft?

Kerber: Ja, zuweilen mutet die Wirtschaft auch zu technokratisch an. Das Unternehmerische gerät in den Hintergrund. Was fehlt, ist die Begeisterung dafür, die Welt besser machen zu wollen – ein besseres Leben mit vielen Chancen zu ermöglichen. Darum geht es doch. Nur so entsteht echter Fortschritt.

mm: Der Kapitalismus als Weltverbesserungsprojekt – klingt nicht gerade mehrheitsfähig.

Kerber: Es geht nicht um Kapitalismus pur, sondern um soziale Marktwirtschaft! Es geht um Wohlstand, Aufstiegsmöglichkeiten, Zufriedenheit! Schauen Sie sich den sozialen Fortschritt an, der mit der Industrialisierung historisch einhergeht! Die Lebenserwartung steigt, die Kindersterblichkeit sinkt dramatisch, die Menschen sind gesünder und zufriedener. Ohne marktwirtschaftlich funktionierende Industrie ist dieser Fortschritt undenkbar. Das war im 19. und 20. in den Industrieländern so, heute machen die Schwellenländer diese Entwicklung durch.

mm: Im real existierenden Kapitalismus geht es aber nicht zuvörderst um die Verbesserung der Welt, sondern vor allem um Gewinn, Gehalt und andere monetäre Größen.

Kerber: Das Gewinnstreben ist die Antriebsfeder. Hauptmotor ist der Drang nach ständiger Verbesserung der Lebensverhältnisse. Für all die großen Fragen, vor denen die Menschheit heute steht – von der Urbanisierung bis zum Klimawandel -, bietet die moderne Industrie des Westens Antworten. Die sollten wir nutzen.

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