Wiesbaden, 10.03.2011. Er galt als moralisches Gewissen der Bundesrepublik – bis zum 12. August 2006. Der Literatur-Nobelpreisträger Günter Grass enthüllte im Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, dass er als Jugendlicher Mitglied der Waffen-SS gewesen war. Das mediale Echo war groß: Über vier Monate diskutierte das Feuilleton mit bis dato unbekannter Emotionalität und Reichweite. Erstmals liegt nun eine quantitative Inhaltsanalyse dieses öffentlichen Diskurses vor. Die Ergebnisse sind in der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift Publizistik aus dem Wiesbadener VS Verlag erschienen.
Handelt es sich beim Fall Günter Grass um einen publizistischen Konflikt oder einen Medienskandal? Für die Analyse des Diskurses untersuchte Kilian Trotier ausgewählte Qualitätsmedien für den Zeitraum vom 12. August bis zum 30. Dezember 2010: die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ), die Süddeutsche Zeitung, die tageszeitung (taz), Die Zeit und Der Spiegel. Dabei kommt er zu dem Ergebnis, dass es sich um einen publizistischen Konflikt handelt, bei dem die Gegner des Schriftstellers nach und nach Oberhand gewonnen haben. Der Spiegel weise dabei Tendenzen der Skandalierung auf. Insgesamt lasse sich aber bei keinem Publikationsorgan eine stringente Blattpolitik ausmachen. Vielmehr böten die genannten Medien auch Verteidigern des Schriftstellers, meist gesellschaftliche Akteure, die Möglichkeit, sich öffentlich zu äußern.
Die zentrale Forschungsfrage im Fall Günter Grass beantwortet Trotier detailliert anhand der Analyse von sieben Hypothesen, die er aus theoretischen Vorüberlegungen gewonnen hatte. Die Ergebnisse der Inhaltsanalyse erklären nach Ansicht des Wissenschaftlers beispielhaft das Phänomen „Debattenfeuilleton“, das den Kulturjournalismus der vergangenen Jahre immer stärker präge.
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