Radikaler Umbau unseres Gesundheitssystems mit gravierenden negativen Folgen
(ddp direct) SPD, die Grünen und die Linkspartei wollen im Bundestagswahlkampf mit der Bürgerversicherung punkten. Private und gesetzliche Krankenversicherungen sollen darin zu einer einheitlichen Versicherung verschmolzen werden, in der alle Bürger pflichtversichert sind. Der radikale Umbau würde das deutsche Gesundheitswesen auf den Kopf stellen – mit gravierenden Auswirkungen auf die Qualität der Gesundheitsversorgung, für die finanzielle Belastung künftiger Generationen und die berufliche Existenz vieler Ärzte im Land.
Die Aussagen der bisher über 2.800 Ärzte, die zwischen Januar und April diesen Jahres an einer bundesweiten Studie zur Bürgerversicherung teilnahmen, waren eindeutig: 90 Prozent rechnen mit deutlichen Einnahmeverlusten, wenn die Honorare für Privatleistungen wegfallen. „Dreiviertel der Ärzte, die wir mit unserer Fragebogenaktion um ihre Meinung zur Bürgerversicherung baten, müssten Praxispersonal einsparen, um ihre Praxis weiterhin wirtschaftlich führen zu können. Über ein Drittel – 40 Prozent – befürchten sogar ihre Praxis schließen zu müssen, wenn durch eine Bürgerversicherung die Honorare für Privatleistungen wegfallen“, berichtet Michael Ahrens, Geschäftsführer der PVS Baden-Württemberg, die die Ärzte – Studie gemeinsam mit dem PVS – Verband initiiert hatte. Wie gravierend die Auswirkungen tatsächlich sein werden, ist dabei vielen Ärzten gar nicht klar, denn 93 Prozent fühlen sich noch nicht ausreichend über mögliche Folgen für die eigene Arbeit und die Praxis informiert.
Die Argumente für die Bürgerversicherung klingen zunächst plausibel: Wegfall der sogenannten Zwei-Klassen-Medizin, eine solidarisch finanzierte Versicherung mit gleichen Leistungen für alle Bürger. Die negativen Folgen der geplanten Einheitsversicherung für alle Beteiligten, für Krankenhäuser und niedergelassene Ärzte, für Arbeitgeber und vor allem für die Versicherten selbst jedoch sind erheblich. „Eine Bürgerversicherung brächte nur Nachteile für die medizinische Versorgung aller Bürger“, zitiert Spiegel-Online den Verbandschef der privaten Krankenversicherungen, Reinhold Schulte. „Die ärztliche Therapiefreiheit würde begrenzt, der medizinische Fortschritt erschwert. Zudem würde es massive Beitragssteigerungen geben.“ Aber auch die Vorstandsvorsitzende des Spitzenverbandes der gesetzlichen Krankenkassen, Doris Pfeiffer – eigentlich eine Befürworterin der Bürgerversicherung, warnt: „Ohne die Konkurrenz von Privatversicherungen wäre die Gefahr, dass der Leistungskatalog auf eine minimale Grundversorgung reduziert wird, größer. In einem Einheitssystem ließen sich die Leistungen leichter reduzieren.“
Die Befürchtung ist angesichts der demografischen Entwicklung nachvollziehbar. Schon jetzt stößt die Gesundheitsversorgung immer häufiger an ihre Grenzen, weil immer weniger Arbeitnehmer immer mehr Rentner mitfinanzieren müssen. Gerade im Alter aber steigen die Krankheitskosten enorm an – eine Entwicklung, die sich weiter verschärfen wird, weil auch die durchschnittliche Lebenserwartung zunimmt. „Eine solidarisch finanzierte Krankenversicherung kann da nur mit zwei Stellschrauben gegensteuern: mit Beitragserhöhungen und mit Leistungskürzungen“, urteilt Michael Ahrens.
Einen Ausgleich biete bislang die Private Krankenversicherung (PKV) mit ihrem Kapitalmarktmodell. Sicher bedarf auch die PKV angesichts der demografischen Entwicklung einer Modernisierung. So gibt es auch in der CDU Stimmen die fordern, die PKV müsse ihr Geschäftsmodell überprüfen. FDP-Gesundheitsminister Daniel Bahr fordert „attraktive Lösungen“ für den Fortbestand der Privaten, zitierte das Magazin Focus im April. Das auf zwei Säulen ruhende Modell der Krankenversicherung in Deutschland sorgt aber in jedem Fall für Wettbewerb, der verhindert, dass Leistungen so ohne weiteres aus dem Katalog der GKV gestrichen werden. Die in der PVS- Studie befragten Ärzte sahen das überwiegend genauso: 80 Prozent sind der Meinung, dass ohne Wettbewerb im Gesundheitssystem keine Spitzenversorgung möglich ist. 79 Prozent glauben zudem, dass die Qualität der Versorgung zurückgeht, wenn die Investitionen aus der PKV in Forschung und Entwicklung fehlen.
Zur Beitragsentwicklung gibt es schon jetzt beunruhigende Zahlen. Je nach Ansatz gehen Gesundheitswissenschaftler von einer Steigerung der GKV-Beiträge von heute rund 15 Prozent auf 25 bis 30 Prozent im Jahr 2050 aus – wenn die medizinischen Leistungen auf heutigem Niveau bleiben. Das trifft vor allem die nachfolgenden Generationen. Denn beim Umlageverfahren der GKV werden die Beitragseinnahmen sofort für die Deckung der laufenden Kosten ausgegeben. Da es in den kommenden Jahren immer mehr ältere Menschen geben wird, die immer mehr medizinische Leistungen benötigen und gleichzeitig immer weniger erwerbstätige Beitragszahler, werden die Jüngeren die Beitragslast irgendwann nicht mehr zahlen können. Die statistischen Daten zur Bevölkerungsentwicklung sprechen eine deutliche Sprache: Im Jahr 2000 waren 16,5 Prozent der Menschen in Deutschland über 65 Jahre alt. Knapp die Hälfte der GKV-Ausgaben entfiel auf diese ältere Bevölkerungsgruppe. Bis 2050 wird der Anteil der über 65-Jährigen um rund 67 Prozent ansteigen, der Anteil der hochbetagten über 80-Jährigen sogar um deutlich mehr als 200 Prozent. Die Menschen werden immer älter, weil sie weniger stark durch ein körperlich anstrengendes Arbeitsleben beeinflusst werden. Zudem trägt die moderne Medizin heute in erheblichem Maße zur weiter steigenden Lebenserwartung der Menschen bei. Das heißt sicher auch, dass die Älteren heute gesünder sind als früher. Dennoch werden mit dem wachsenden Anteil der Älteren in unserer Gesellschaft auch die Leistungsausgaben für die Gesundheitsversorgung erheblich ansteigen. Ohne deutliche Betragserhöhungen oder gravierende Leistungseinschränkungen wird es dann mit der Umlagefinanzierung nach dem GKV-Modell nicht mehr gehen.
Beim Alternativmodell der PKV dagegen werden für jeden der derzeit neun Millionen Versicherten ein Teil der Beiträge in sichere Kapitalanlagen investiert, die im Alter für den Anstieg der Gesundheitskosten zur Verfügung stehen – im Hinblick auf die Kinder- und Enkelgeneration ein gerechteres Modell. Nach Angaben der PKV hatten diese Altersrückstellungen im Jahr 2010 bereits eine Höhe von rund 155 Milliarden Euro erreicht. Damit treffen die Versicherten selbst Vorsorge für die im Alter nötigen Mehrleistungen und bürden die Kosten nicht den Jüngeren auf.
Genauso ungerecht ist heute schon das System der Familienversicherung in der GKV, das Familien, in denen beide Eltern arbeiten müssen, deutlich stärker belastet als Familien, in denen nur ein Elternteil erwerbstätig ist. Nach den derzeitigen Plänen soll die Familienversicherung in die Bürgerversicherung übernommen werden. Damit ist es weiter möglich, dass ein Alleinverdiener-Haushalt mit hohem Einkommen genauso hohe Krankenkassenbeiträge zahlt wie eine Familie, in der Mutter und Vater arbeiten, beide zusammen aber nur die Hälfte des Alleinverdiener-Haushaltes verdienen.
Prozentual aufs Einkommen gerechnet zahlt der Haushalt mit zwei Geringverdienern damit doppelt so viel wie der Haushalt mit einem Verdiener und hohem Einkommen. Betrachtet man wiederum die Kostenseite der Bürgerversicherung, dann führt die Familienversicherung zudem insgesamt zu Mehrkosten, wenn die bislang Privatversicherten in der Bürgerversicherung die Familienversicherung nutzen.
Die steigenden Kosten der Bürgerversicherung sollen deshalb durch jährliche Zuschüsse in Höhe von 15 Milliarden Euro aus der Staatskasse ausgeglichen werden, so die Pläne der Parteien. Das sind derzeit 590 Euro für jeden Lohn- und Einkommensteuerzahler, die dann nicht als Krankenkassenbeitrag abgezogen werden, sondern als Steuer anfallen. An der zusätzlichen Belastung ändert das natürlich nichts. Zudem soll die Abgeltungssteuer auf Kapitalerträge von 25 auf 30 Prozent erhöht werden. Wer also fürs Alter gespart hat, dem werden die Zinserträge um fünf Prozent gekürzt. Hinzu kommt, dass mit der Einbeziehung der Beamten in die Bürgerversicherung Bund, Länder und Gemeinden künftig einen Arbeitgeberanteil in die Krankenversicherung abführen müssten. Das wird deutlich teurer als das bisherige Beihilfemodell, nach dem die Beamten einen Teil der tatsächlichen Krankheitskosten erstattet bekommen. Auch diese Mehrkosten müssen natürlich über Steuern finanziert werden. Geht es nach den Plänen der Grünen und der Linken, dann soll mit der Bürgerversicherung auch die Beitragsbemessungsgrenze um 48 Prozent von derzeit 44.450 auf 66.000 Euro pro Jahr angehoben werden. Vor allem die Mittelschicht wäre davon mit einem erheblichen Anstieg der Krankenversicherungsbeiträge betroffen. Bei einem Jahresverdienst von 55.000 Euro beispielsweise steigen die Beiträge um 16,3 Prozent. Außerdem sollen auch Kapitalerträge und Mieteinkünfte künftig mit Krankenversicherungsbeiträgen belastet werden. Auch das trifft vor allem Kleinsparer und Durchschnittsverdiener, die unter der erhöhten Beitragsbemessungsgrenze liegen und den vollen Beitragssatz von derzeit rund 15 Prozent auf jeden Euro abführen müssen.
Auch die niedergelassenen Ärzte fürchten zu Recht um ihre Existenz. Denn in der Konsequenz führt die Einführung der Bürgerversicherung zur Abschaffung der PKV. „Heute aber tragen zehn Prozent der Privatversicherten über 26 Prozent der Praxisumsätze der Ärzte. 10,8 Milliarden Euro Mehrumsatz kommen dabei zusammen“, berichtet der Geschäftsführer der PVS Baden-Württemberg Michael Ahrens. Das gilt natürlich genauso für die Krankenhausfinanzierung, zu der die Privatversicherten mit ihren höheren Beiträgen einen wichtigen Beitrag leisten. Darüber wie hoch die Einnahmeausfälle in den Arztpraxen durch den Wegfall der Privatversicherten wären, gibt es unterschiedliche Schätzungen. Ein Gutachten im Auftrag der Grünen geht von 3,6 Milliarden Euro pro Jahr aus. Andere Schätzungen rechnen mit bis zu 6 Milliarden Euro, wenn die PKV komplett abgeschafft würde. Als Ausgleich sollen die Ärzte eine Kompensation erhalten, je nach Einschätzung natürlich in unterschiedlicher Höhe. Unklar ist dabei zudem, wer die Mehrkosten trägt und wie lange dieser Ausgleich bezahlt wird.
Dem gegenwärtigen Zwei-Säulen-Modell aus GKV und PKV wird immer wieder vorgeworfen, es fördere eine Zwei-Klassen-Medizin. Beispiele aus Ländern mit einer staatlich kontrollierten Einheitsversicherung, wie zum Beispiel Großbritannien, zeigen dagegen, dass sich gerade hier eine Zwei-Klassen-Medizin bildet. Die steigenden Gesundheitskosten sorgen dafür, dass die Leistungen der Krankenversicherung immer weiter bis auf ein Basisniveau reduziert werden und Kapazitäten abgebaut werden müssen. Sehr schnell werden dann neben der allgemeinen Grundversorgung neue Angebote und ein Markt für hochwertige Gesundheitsdienstleistungen entstehen – Leistungen, die entweder
direkt bezahlt werden müssen oder die wiederum über Zusatzversicherungen abgesichert werden können. Diese Mehrkosten werden sich viele nicht leisten können. So werden nur noch die Wohlhabenden die besonderen Arzt- und Krankenhausleistungen bezahlen. In Großbritannien ist das schon heute der Fall. Wer es sich leisten kann, schließt private Zusatzversicherungen ab und lässt sich von Ärzten behandeln, die ausschließlich privat praktizieren. So entsteht erst durch das vermeintlich einheitliche Gesundheitssystem eine Zwei-Klassen-Medizin.
„So positiv der Begriff Bürgerversicherung zunächst klingt, so problematisch werden die Pläne von SPD, Grünen und Linken jedoch, wenn man die Details betrachtet“, urteilt Ahrens. Fast alle Ärzte (99%), die an der PVS – Studie teilgenommen haben, sind daher der Meinung, dass es wichtig ist, die Bevölkerung über die Folgen der Einführung der Bürgerversicherung aufzuklären. 96 Prozent der Ärzte wünschen sich zudem selbst genauere Informationen über die Pläne zur Finanzierung der Bürgerversicherung. „Als Gemeinschaftseinrichtung von Ärzten für Ärzte sehen wir uns in der Pflicht, diesen enormen Informationsbedarf der Ärzteschaft zu stillen und eine entsprechende Plattform zum Meinungsaustauch zu bieten. Mit politischen Veranstaltungen, wie dem Akademiegespräch „Bürgerversicherung, Inhalte und Auswirkungen“ der Akademie der PVS Baden-Württemberg am 3. Juli 2013 in München und am 5. Juli 2013 in Stuttgart, werden wir genau das umsetzen.“ berichtet Ahrens. Vertreter aus Politik, Wirtschaft und Gesundheitswesen klären dort über die „Bürgerversicherung“ in Fachvorträgen auf, anschließende Podiumsdiskussionen ermöglichen einen direkten Austausch.
Shortlink zu dieser Pressemitteilung:
http://shortpr.com/sce789
Permanentlink zu dieser Pressemitteilung:
http://www.themenportal.de/gesundheitspolitik/buergerversicherung-deutschlandweite-studie-der-privataerztlichen-verrechnungsstellen-belegt-die-unsicherheit-in-der-aerzteschaft-69350
Die Privatärztliche Verrechnungsstelle PVS Baden-Württemberg e.V. organisiert für ihre Mitglieder, das sind niedergelassene Ärzte und Krankenhäuser, die Abrechnung privatärztlicher Leistungen mit den Patienten. Darüber hinaus unterstützt sie ihre Mitglieder bei Verwaltungsaufgaben rund um die ärztliche Praxis und vermittelt über ihre Akademie das nötige Wissen.
Die Akademie der Privatärztlichen Verrechnungsstelle (PVS) Baden-Württemberg in Stuttgart-Degerloch bietet für Klinikärzte, niedergelassene Ärzte und für Mitarbeiter in medizinischen Berufen Seminare zu medizinischen Themen, zu Abrechnungsfragen und zur Praxisorganisation. Die Veranstaltungsreihe der Akademiegesprächsabende greift aktuellen Themen aus dem Gesundheitswesen auf. Namhafte Experten vermitteln hier Fachwissen und stellen sich den Fragen der Teilnehmer.
Mehr Informationen finden Sie unter: www.pvs-akademie.de
Kontakt:
PVS Baden-Württemberg
Alexander Paul
Bruno-Jacoby-Weg 11
70597 Stuttgart
0711 7201-247
a.paul@pvs-bw.de
www.pvs-bw.de