Saufen, Sonne, Sex. Für die einen ist das die Geheimformel für den Ballermann, für andere ist der Ballermann eine Wissenschaft für sich. So erscheint Anfang Dezember im Tectum Verlag eine wissenschaftliche Studie, des renommierten Unterhaltungswissenschaftlers Dr. Sacha Szabo, die nach dreijähriger Beschäftigung mit dem Thema, das Phänomen Ballermann entschlüsselt hat. Wir sind gespannt und haben Herrn Szabo zu seinem Buch befragt.
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Wie sind Sie auf die Idee gekommen, ein Buch über den Ballermann zu schreiben?
Sacha Szabo: Seit Jahren beschäftige ich mich mit der Geschichte und den Besonderheiten von Vergnügungswelten wie Kirmes und Freizeitparks. Diese Feste haben ja oft eine jahrhundertealte Tradition. Beim Ballermann hingegen können wir miterleben, wo die Ursprünge solch eines Festes liegen. Es ist sozusagen der Urknall einer Vergnügungswelt, die wir erleben dürfen. Und was wir dabei sehen, sind die einzelnen Elemente, aus denen sich diese Welt zusammensetzt.
Warum ist der Ballermann ein Thema für die Wissenschaft?
Sacha Szabo: Bislang ist das Phänomen Ballermann, und hier kann man bis zu den Ursprüngen des Ballermanns am Strand von El Arenal gehen, von der Wissenschaft eher stiefmütterlich behandelt worden. Dies verwundert umso mehr, als dass von den 3,5 Millionen Touristen, die jährlich Mallorca besuchen, viele das Arenal zwischen Playa de Plama und El Arenal aufsuchen und sich dort vergnügen. Gleichzeitig ist Ballermann auch eine Marke, steht also für ein Angebot, das vom Konsumenten auch sofort erkennt wird. Nur wie sieht denn dieses Angebot konkret aus?
Können Sie uns schon Ihr Ergebnis verraten?
Sacha Szabo: Um vorzugreifen, beim Ballermann, so das Ergebnis, handelt es sich um die Erzeugung einer außeralltäglichen Festgemeinschaft. Einerseits scheint es ein anthropologisches Bedürfnis des Menschen sowohl nach einem Jenseits der Alltagssorgen, als auch nach einem Jenseits der existentiellen Sorgen zu sein. Dies leisten traditionell Feste, die durch bestimmte Rituale gekennzeichnet sind. In der Moderne verlieren jetzt viele traditionelle Strukturen ihre Tragfähigkeit, die Menschen haben aber gleichwohl die Sehnsucht nach eben solch einer rituellen Ordnung. Auf diese Erlebnisnachfrage reagiert der Ballermann, präzise die Marke Ballermann mit dem passgenauen Erlebnisangebot, nämlich der Schaffung einer posttraditionellen Festgemeinschaft.
Was ist der Unterschied zwischen Ballermann und anderen Festen?
Sacha Szabo Die Marke „Ballermann“ hat die Besonderheit, dass sie es nach kurzer Zeit geschafft hat, nicht mehr nur als Marke wahrgenommen zu werden, sondern ein Synonym für eine bestimmte Form von Events geworden ist. Und es geht sogar noch weiter, Ballermann ist zu einer bestimmten Form von Erlebnissen geworden.
Was wir beobachten können ist, dass die Marke sowohl von konkurrierenden Festen, wie den großen Volksfesten beobachtet wird und es geschafft hat sich von einem – sagen wir es flapsig – „Proll-Image“ zu lösen. Jetzt steht Ballermann für entspanntes und vor allem friedliches miteinander Feiern. Ballermann bezeichnet zugespitzt, auch wenn das eigentlich als Marke kaum zu leisten ist, ein soziales Phänomen.
Inwiefern ein soziales Phänomen?
Sacha Szabo: Was den Ballermann ausmacht ist, dass sowohl das soziale Ursprungsphänomen wie auch die Marke sich dadurch auszeichnen, dass sie Gemeinschaften initiieren. Das klingt schlicht, ist es aber beileibe nicht. Gerade vor dem Hintergrund der fortgeschrittenen Moderne, der Individualisierung aller Lebensbereiche, scheint es eine Sehnsucht des modernen Menschen nach Gemeinschaft zu geben. Und diese Gemeinschaft wird durch das gemeinsame Feiern mittels bestimmter Rituale erzeugt. Wenn man jetzt fragt, wie die Rituale beim Ballermann aussehen, dann fallen hier als erstes natürlich die entsprechenden Lieder ein, die geradezu dazu angelegt sind mitzufeiern. Dazu kommen oft bestimmte Choreographien und natürlich der Alkohol. All dies dient dazu, die Distanz zwischen den einzelnen Individuen aufzuheben.
Rituale am Ballermann? Was können wir darunter verstehen?
Sacha Szabo: Es gibt vier Elemente, die das Phänomen Ballermann auszeichnen. Dabei handelt es sich um Fest, Feier, Spiel und Ritual. Diese vier stehen in einem Wechselverhältnis. Um das kurz auszuführen: Bei einem Fest geht es um das Aufgehen des Einzelnen in einer Gemeinschaft. Eine Feier integriert diese Gemeinschaft in ein kulturelles Umfeld. Mittels des Spiels erfährt nun der Einzelne in der Gemeinschaft eine Art Befreiung von alltäglichen Sorgen und die Spielregeln sind die Rituale. Um das bildlich zu fassen, nehmen wir den Plastikeimer mit Sangria und den Strohhalm. Hier trinken verschiedene Menschen gemeinsam aus einem Gefäß und bilden so eine Gemeinschaft. Sie tun dies mit bestimmten Ritualen, indem sie entweder Trinkspiele spielen oder noch allgemeiner gemeinsam Singen und Tanzen. Damit bilden sie eine Communitas, eine Gemeinschaft.
Wie hängt Mallorca mit der Marke zusammen?
Sacha Szabo: Das Bild, das ich anfangs vor Augen hatte, waren die durchs Fernsehen vermittelten exzessiven Szenen am Strand von El Arenal, die für mich auch von einer latenten Aggressivität geprägt waren. Mit der Beschäftigung des Ballermannphänomens fiel mir auf, dass sich der Ballermann von diesen Phänomenen Anfang der neunziger Jahre stark abhebt. Es ist ein völlig friedliches gemeinsames Feiern. Aber auch El Arenal hat sich natürlich durch die entsprechenden Maßnahmen von diesem Image befreit, so dass ich während meiner fünf Besuche auf Mallorca keine Schlägerei oder ähnliches mitbekommen habe. Es scheint so, als ob sich Aggressivität und Gemeinschaft endogen ausschließen.
Was zeichnet diese Marke noch aus?
Im Eventbereich mag man an Feste wie das Oktoberfest denken, wobei dies weniger Markencharakter erfüllt. Auch könnte man an die Love-Parade denken, aber diese Phänomene haben es nie geschafft, sich auszudifferenzieren in Produkte wie etwa Ballermann-Radio, Ballermann TV, Ballermann Charts und viele andere. Man könnte auch Ballermann, das ja als Synonym für Party steht, in Korrespondenz zu anderen Marken stellen, die nun als Oberbegriff für alle Produkte stehen wie Tempo. Von meiner Perspektive aus hilft es am meisten, wenn man Ballermann im Vergleich zu Produkten sieht, die ein Lebensgefühl transportieren, wie etwa Coca Cola oder Red Bull.
Wie sehen Sie die Zukunft der Marke?
Sacha Szabo: Dadurch, dass die Marke in meinen Augen ein Lebensgefühl, eine Lebensweise vorschlägt, hat die Marke nur sehr wenige Limitationen. Die wenigen kann man auch aus meiner Studie herauslesen, sie hat wenig Affinität zur Gewalt. (Auch im Vergleich zu anderen Festen, nehmen wir mal ein einfaches Weinfest auf irgendeinem Dorf, so scheint mir dies latent aggressiver zu sein als eine Ballermann Party). Ballermann vermittelt gute Laune. Das ist die Markenbotschaft.
Wie kommt es zu der gelegentlichen negativen Konnotation beim Begriff „Ballermann“?
Sacha Szabo: Gelegentlich spricht ja man von „Ballermannisierung“ und meint damit ein banales Besäufnis. Genau dies aber – und das ist ein zentrales Element des Ballermanns – ist gar nicht gegeben. Vielmehr und nun beginnen wir einmal die Begriffe wirklich wieder neutral zu nutzen, geht es um die Etablierung einer neuen Trinkkultur. Noch vor dreißig Jahren gab es fast in jeder Kneipe einen Stammtisch, wo in Gemeinschaft getrunken wurde, hemmungsloses Besaufen war dort eher verpönt, sondern es ging um die Erzeugung von Geselligkeit. Genau auf dieses Bedürfnis reagiert nun der Ballermann, indem er Rituale anbietet, wie man Alkoholgenuss kultiviert und sich so in eine Feierlaune einstimmt. Was im Vollsuff ja gar nicht möglich ist. Insofern funktioniert die Marke gar nicht mit Vollbesoffenen, und sie nun damit gleichzusetzen, ist schlichtweg ein Irrtum.
Wie sieht der Ballermann der Zukunft aus?
Sacha Szabo: Man kann, was das Bedürfnis des Menschen nach Festen angeht, anthropologisch verorten, der Mensch braucht eine Auszeit vom Alltag. Traditionell hat das die Kirche geleistet, traditionell haben das Vereine geleistet und traditionell hat dies natürlich die Familie geleistet. All diese Institutionen sind in eine Art Krise geraten und kämpfen um ihren Bestand. Gleichzeitig existiert immer noch das Verlangen des Menschen nach Festen. Genau dieses Bedürfnis wird durch Events, die diese Erlebnisse stillen, erfüllt. Wenn man sich die Eventlandschaft ansieht, dort tummeln sich viele Spezialisten, Rockbands, Partymacher, Sportereignisse, aber Generalisten, die dieses Bedürfnis umfassend abdecken, sind rar. Es mag der Konzentration auf unser Thema geschuldet sein, aber mit fällt nur der Ballermann ein.
Haben Sie noch weitere Informationen zum Buch?
Sacha Szabo: Ich freue mich Ihnen ankündigen zu dürfen, dass das Buch im Dezember 2011 im Tectum Verlag erscheint. Es ist das Ergebnis einer über dreijährigen Beschäftigung mit dem Thema und wurde von Beginn an von der Firma Engelhardt und der Ballermann-Familie, der Ballermann-World unterstützt, ohne dass jemals Einfluss auf das Projekt genommen wurde. Uns unterstützt auch die Firma Engelhardt mit einer Aktion im Rahmen dessen, dass den ersten 50 verkauften Büchern ein Geschenk beigelegt wird. Das Buch kann normal über den Buchhandel oder auch über Onlinehäuser wie Amazon bezogen werden. Es heißt im Titel schlicht und markant „Ballermann. Das Buch“.
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Zum Buch:
Ballermann. Das Buch
Phänomen und Marke
Eine wissenschaftliche Untersuchung eines außeralltäglichen Erlebnisses
Tectum, Bielefeld, Winter 2011, 19,90 EUR
ISBN: ISBN 978-3-8288-2791-2
Kontaktdaten:
Dr. Sacha Szabo
Alte Str. 19
79249 Merzhausen
Tel.: 0170/ 77 30 20 5
Mail: kontakt@sacha-szabo.de
Web: www.sacha-szabo.de
Zur Person:
Dr. Sacha Szabo, (geb. 1969) studierte Germanistik, Philosophie und Soziologie und schloss mit dem Magister ab und promovierte anschließend über Vergnügungswelten wie Kirmes und Jahrmärkte. Aus dieser Forschung sind viele Ableger entstanden, wie etwa das aktuell erschienene Buch über den Ballermann. („Ballermann. Das Buch. Phänomen und Marke“). Es sind besonders die Alltagsgegenstände und die Alltagsphänomene die es Szabo angetan haben. So entstanden auch Arbeiten über Spielzeug, Computerspiele oder Filme. Er hatte mehrere Lehraufträge an der Universität Freiburg inne und leitet gegenwärtig das Institut für Theoriekultur, Freiburg, ein loses Netzwerk von Kulturschaffenden. Mit seinem profunden Wissen über Alltagskulturen und deren Sinndimensionen ist er ein gefragter Gesprächspartner für Funk und Fernsehen.
Publikationen (Auswahl)
„“Sascha Arschloch“ Leben und Werk des Lyrikers Sascha Anderson (2002), „“Fahrchips. Das Spielgeld der Kirmes“ (2006), Rausch und Rummel. Attraktionen auf Jahrmärkten und in Vergnügungsparks. Eine soziologische Kulturgeschichte (2006). Gruß aus dem Luna-Park (2007), Kirmes, Jahrmarkt und Volksfest im Spiegel historischer Postkarten. Ein kulturgeschichtlicher Streifzug (2007), Unterhaltungswissenschaft. Populärkultur im Diskurs der Cultural Studies (2008), Kultur des Vergnügens: Kirmes und Freizeitparks – Schausteller und Fahrgeschäfte. Facetten nicht-alltäglicher Orte (2009), Brand Studies: Marken im Diskurs der Cultural Studies (2009), Vom Kulturpark Berlin zum Spreepark Plänterwald (2011)
Theoriedienstleister/Theorieinstallateur/Theoriedesign.
Wir werben für eine Wissenschaft von der Unterhaltung, die gleichermaßen unterhält. Unsere Forschungen behandeln Alltagsartefakte und Alltagsphänomene. Im Rahmen unserer Arbeit übernehmen wir auch Aufträge zum Theoriedesign und Theorieconcepting. Dies betrifft die wissenschaftliche Erarbeitung eines Produkts oder einer Dienstleistung bzw. eines Unternehmens. Dazu gehören Publikationen, Workshops und Kongresse. Also das komplette Spektrum einer Theorieinstallation. Allerdings machen wir keine Werbung, sondern lassen uns nur sponsern, um die wissenschaftlich Objektivität unserer Ergebnisse zu gewährleisten. Wer also Werbung will, ist bei uns an der falschen Adresse, wer UnternehmensKULTUR sucht, der ist bei uns genau richtig.
Institut für Theoriekultur
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