Arbeitsunfähigkeit nach Kündigung – Gefahr für die Entgeltfortzahlung!

Kündigt ein Arbeitnehmer sein Arbeitsverhältnis und wird er am Tag der Kündigung arbeitsunfähig krankgeschrieben, kann dies den Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung insbesondere dann erschüttern, wenn die bescheinigte Arbeitsunfähigkeit passgenau die Dauer der Kündigungsfrist umfasst.

Pressemitteilung des Bundesarbeitsgerichts vom 08.09.2021- 25/21
BAG, Urteil vom 08.09.2021-5 AZR 149/21

Gerade bei Eigenkündigungen durch Beschäftigte gehen der Entscheidung, das Arbeitsverhältnis zu beenden, oftmals gesundheitlich belastende Zeiten voraus. Ist der Entschluss zur Kündigung umgesetzt, führt dies häufig dazu, dass der physisch oder psychisch ohnehin labile Zustand in eine Arbeitsunfähigkeit mündet.
Aber Vorsicht: wer sich allein auf die Bescheinigung seines Arztes zur Arbeitsunfähigkeit verlässt, riskiert seinen Entgeltfortzahlungsanspruch.

Die betroffene Klägerin war bei der Arbeitgeberin seit knapp sechs Monaten als kaufmännische Angestellte beschäftigt. Sie kündigte das Arbeitsverhältnis fristgerecht. Noch am Tag des Ausspruchs der Kündigung suchte sie eine Ärztin auf, die ihr für den Zeitraum bis zum Ende der Kündigungsfrist eine Arbeitsunfähigkeit bescheinigte. Die Arbeitgeberin verweigerte die Entgeltfortzahlung für diesen Zeitraum mit der Begründung, der Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung sei erschüttert, weil diese genau die Restlaufzeit des Arbeitsverhältnisses nach der Eigenkündigung der Klägerin abdecke. Die Klägerin hat demgegenüber geltend gemacht, sie sei ordnungsgemäß krankgeschrieben gewesen und habe vor einem Burn-Out gestanden.
Nachdem die Vorinstanzen der Klägerin die Entgeltfortzahlung zugesprochen haben, hat das BAG jetzt die Klage abgewiesen.

Die Begründung muss genauer betrachtet werden, da sie wichtige Hinweise zum Umgang mit Arbeitsunfähigkeitszeiten gibt:
Wer arbeitsunfähig ist, hat einen Anspruch auf Entgeltfortzahlung für die Dauer von bis zu sechs Wochen gegen seinen Arbeitgeber (§ 3 Entgeltfortzahlungsgesetz). Dauert die Arbeitsunfähigkeit länger als 3 Kalendertage, muss der Arbeitnehmer eine ärztliche Bescheinigung über das Bestehen der Arbeitsunfähigkeit und die voraussichtliche Dauer vorlegen (§ 5 Entgeltfortzahlungsgesetz). Verweigert der Arbeitgeber die Entgeltfortzahlung und muss der Arbeitnehmer die-se daher einklagen, ist die Vorlage dieser Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung der erste Schritt zum Beweis, dass man tatsächlich arbeitsunfähig war. Deren Beweiswert kann der Arbeitgeber aber erschüttern, wenn er Umstände darlegt und ggf. beweist, die Anlass zu ernsthaften Zweifeln an der Arbeitsunfähigkeit geben.
Wer zum Beispiel arbeitsunfähig geschrieben ist und während dieser Zeit ein Bild von sich tanzend in einem Club postet, kann damit dem Arbeitgeber ausreichend Material liefern, den Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu erschüttern. In einem derartigen Fall muss der Arbeitnehmer substantiiert darlegen und beweisen, dass er tatsächlich arbeitsunfähig war.

Der Beweis kann insbesondere durch Vernehmung des behandelnden Arztes nach entsprechender Befreiung von der Schweigepflicht erfolgen. Das heißt, im zuvor geschilderten Beispiel müsste der betroffene Arbeitnehmer „die Karten auf den Tisch legen“: er sollte – soweit zutreffend – darlegen, dass er an einer depressiven Episode leidet und vortragen, dass das Tanzen seine seelische Verfassung verbessert und seinen Genesungsprozess beschleunigt. Als Zeugen sollte er seinen Arzt benennen und diesen von der ärztlichen Schweigepflicht entbinden.

Im nun vom BAG entschiedenen Fall hat die Klägerin diesen Schritt nicht getan.

Fazit:
Einmal mehr muss man leider sagen: „Bad cases make bad law.“ Die Entscheidung des BAG wäre möglicherweise anders ausgefallen, wenn die betroffene Klägerin dem Hinweis des Gerichts gefolgt wäre und nach konkreter Darlegung der Hintergründe für die Arbeitsunfähigkeit ihre Ärztin als Zeugin benannt hätte. Spätestens im Prozess über die Entgeltfortzahlung sollte man – juristisch beraten – prüfen, ob die Offenlegung von Gesundheitsinformationen erforderlich wird.
Darüber hinaus ist hier zu beachten, dass das BAG hinsichtlich der Erschütterung des Beweiswertes der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung insbesondere auf die Deckungsgleichheit von Arbeitsunfähigkeitszeit und Dauer der Kündigungsfrist abgestellt hat. Unser Vertrauen in die fachliche Integrität von Ärzten ist auch nach diesem Urteil ungebrochen. Das „Gefälligkeitsattest“ ist die Ausnahme, nicht die Regel. Dennoch sind Arzt und Patient gut beraten, wenn die Prognose über die voraussichtliche Arbeitsunfähigkeit in kleineren Intervallen, zum Beispiel wochenweise, aufgestellt wird und nicht von vornherein im Ganzen den Lauf der Kündigungsfrist umfasst.

Sigrid Britschgi
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