Das menschliche Liebesleben kennt eine große Vielfalt
Für manche ist die Liebe vor allem Engagement, für andere eine gemeinsame Versorgungsgemeinschaft, für wiederum andere Lust und Sex oder ein Moment der totalen Freiheit im Hier und Jetzt. Der Psychologe Guido Gebauer hat für die psychologische Dating-Plattform Gleichklang.de die verschiedenen Modelle, Sichtweisen und Geschichten der Liebe untersucht. Dabei konnte er in einer Umfrage mit 1000 Teilnehmenden neun Grundorientierungen identifizieren. Diese neun Grundorientierungen können die Unterschiede zwischen Liebenden in der Gestaltung ihrer Partnerschaften erklären. Es zeigte sich auch, dass Paare umso glücklicher miteinander werden, desto stärker ihre Haltungen zur Liebe übereinstimmen.
Hintergrund und Zusammenfassung
Der Psychologe Robert Sternberg von der Stanford Universität in den USA untersucht Liebesbeziehungen als Geschichten, die die Beteiligten miteinander schreiben. Demnach folgen unterschiedliche Menschen unterschiedlichen Geschichten, weshalb sich auch ihre Beziehungen voneinander unterscheiden. Der Psychologe Guido Gebauer untersuchte nun für die psychologische Partnervermittlung Gleichklang.de, wie solche Geschichten der Liebe unsere Beziehungszufriedenheit prägen können. Hierzu ließ er 81 verschiedene Liebesgeschichten durch 500 Frauen und 500 Männer danach beurteilen, ob diese ihrer eigenen Geschichte oder der Geschichte ihrer Partner entsprachen.
Die Datenanalyse zeigte, dass diese 81 Geschichten der Liebe sich zu neun breiten Grundorientierungen verdichten ließen. Zwei dieser Grundorientierungen wirkten sich positiv, eine gemischt und eine negativ auf die Beziehungszufriedenheit der Befragten aus. Fünf Grundorientierungen zeigten keine Auswirkung auf die durchschnittliche Beziehungszufriedenheit.
Neben den einzelnen Orientierungen bestimmte aber vor allem die Übereinstimmung in den neun Grundorientierungen zwischen den Partnern, ob diese eine hohe oder eine niedrige Beziehungszufriedenheit erlebten. Für jede der neun Grundorientierungen ließ sich dieser Effekt statistisch signifikant nachweisen. Die Studie stützt daher die Annahme, dass die Liebe erleichtert wird, wenn Menschen mit ähnlichen romantischen Grundorientierungen zusammen finden.
Ergebnisse der Studie
Neun Grundorientierungen der Liebe
Diese neun Grundorientierungen ließen sich statistisch sowohl aus den eigenen Geschichten der Befragten als auch aus den durch sie wahrgenommenen Geschichten ihrer Partner identifizieren:
Liebe als Engagement: Die Vertreter dieses Modells brachten ihre Partnerschaften beispielsweise als einen Garten, den sie hegen oder pflegen, oder als eine Reise, wo die Liebenden sich als Mitreisende fortwährend über ihre Reiseziele und ihre Fortbewegungsmittel verständigen.
Liebe Sex und Lust: Wer diese Grundorientierung hat, für den ist Liebe vorwiegend Lust, Sex oder auch ein gemeinsames Spiel, was die Beteiligten genießen.
Liebe als Moment der Freiheit: Für Liebende, die diesem Script folgen, ist Liebe eine Story der Anarchie oder auch eine Story des Lebens im „Hier und Jetzt“ – ohne Planung oder Gedanken an die Zukunft.
Liebe als Lebens- und Versorgungsgemeinschaft: Dies ist die Story der Liebe als Aufbau, Bewahrung und Erweiterung eines gemeinsamen Lebensmittelpunktes. Dies kann das sprichwörtliche gemeinsame Haus sein. Aber auch die gemeinsame Altersversorgung gehört dazu.
Liebe als Familiengründung: Für die Anhänger dieser Orientierung bedeutet Partnerschaft in erster Linie Kinder und Familie. Das können leibliche, aber auch Adoptivkinder sein. Die Gegenstory vertreten übrigens die Antinatalisten, die Fortpflanzung ablehnen und deren Anzahl in Anbetracht der Klimakrise derzeit zunimmt.
Liebe als Errettung: Diese Liebenden sehen die Liebe als Story einer Errettung aus seelischer oder materielle Not, womöglich auch aus einer anderen traumatischen Beziehung. Diese Orientierung erinnert an die Geschichten der Prinzen in den Märchen.
Liebe als Nutzen: Bei dieser Orientierung steht die Romantik nicht im Vordergrund. Liebe ist beispielsweise wie eine Geschäftsbeziehung. Liebe ist Verhandlungssache und kann käuflich sein.
Liebe als Monogamie versus Nicht-Monogamie: Diese Orientierung ist bipolar und sie beinhaltet die Monogamie oder ihr Gegenteil. Für die Mehrheit steht die Story der Liebe als Monogamie nach wie vor im Vordergrund. Eine zunehmend bedeutsame Minderheit orientiert sich aber an dem entgegengesetzten Modell der konsensuellen Nicht-Monogamie oder Polyamorie.
Liebe als Leid und Schmerz: Für manche ist Liebe vor allem Leid und Schmerz. Es sind die toxischen Geschichten der Eifersucht, die Geschichten von Dominanz und Unterwerfung, von Konflikt und Gewalt, die sich hier zeigen.
Hohe Vielfalt der Liebe
Gebauer sieht in diesen neun Grundorientierungen den Beleg für die hohe Diversität des Liebeslebens. Für manche bedeute eine Partnerschaft Engagement und Beziehungsarbeit. Für andere sei Partnerschaft vorwiegend Lust und Sex. Wieder andere stellten den Moment der totalen Freiheit, das Hier und Jetzt, ganz in den Vordergrund. Anders sähen dies wiederum all diejenigen, für die Liebe eine Lebens- und Versorgungsgemeinschaft sei. Ohne Vereinbarungen gehe es auch bei denen nicht, für die Liebe Familiengründung sei. Für manche sei Liebe vor allem die Story einer Errettung aus der Not. Andere sähen die Liebe ganz unromantisch und nüchtern als Kalkulation von Vorteil und Nutzen.
Einfluss auf Beziehungszufriedenheit
Wie aber wirken sich diese Grundorientierungen der Liebe auf unsere Beziehungszufriedenheit aus?
Positive Auswirkungen
Liebe als Engagement und Liebe als Moment der Freiheit gingen in der aktuelle Studie mit einer höheren Beziehungszufriedenheit einher. Dies galt aber nur für die wahrgenommene Orientierung der Partner, nicht für die eigene Orientierung. „Vermutlich werden wir zufriedener, wenn Partner sich engagieren und uns Freiheit geben“, nimmt Gebauer an.
Negative Auswirkungen
Liebe als Leid und Schmerz ging demgegenüber mit einer geringeren Beziehungszufriedenheit der Befragten einher. Aber dies war nur dann der Fall, wenn es die eigene Orientierung der Befragten betraf. War Leid und Schmerz nach der Wahrnehmung der Befragten die Grundorientierung ihrer Partnerinnen, hatte dies keinen Einfluss auf ihre Beziehungszufriedenheit. „Wir müssen Leid und Schmerz wohl selbst direkt spüren, damit es unsere Zufriedenheit in einer Beziehung senkt“, erläutert Gebauer diesen Befund.
Gemischte Auswirkungen
Liebe als Nutzen wirkte sich günstig aus, wenn dies die eigene Orientierung der Befragten war. „Vielleicht können wir mit dieser Orientierung unsere eigenen Interessen und Bedürfnisse besser vertreten“, vermutet Gebauer. Ging es aber umgekehrt um die wahrgenommene Orientierung der Partner, sank bei dieser Story sogar die Beziehungszufriedenheit der Befragten ab. „Partner, die sich am Nutzen orientieren, kommen uns wahrscheinlich weniger entgegen oder verhalten sich weniger empathisch“, nimmt Gebauer an.
Keine Auswirkungen
Keinen Einfluss auf die durchschnittliche Beziehungszufriedenheit hatten die Grundorientierungen der Liebe als Sex und Lust, der Liebe als Lebens- und Versorgungsgemeinschaft, der Liebe als Familiengründung, der Liebe als Errettung und der Liebe als Monogamie versus Nicht-Monogamie. Kein Einfluss einer Story bedeutet dabei nach Gebauer nicht, dass diese unwichtig sei. Es hänge vielmehr ganz von den Beteiligten ab, in welche Richtung sie ihre Liebe steuerten.
Einfluss der Passung zwischen den Partnern
Über die Auswirkungen der einzelnen Grundorientierungen hinausgehend, untersuchte Gebauer auch den Einfluss der wahrgenommenen Passung der Grundorientierungen zwischen den Befragten und ihren Partnern auf die Beziehungszufriedenheit. Dazu wurde für jede Grundorientierung die Betragsdifferenz gebildet zwischen der eigenen Ausprägung der Befragten und der durch sie wahrgenommenen Ausprägung ihrer Partner.
Für alle neun Grundorientierungen zeigten sich signifikante Einflüsse der so ermittelten Passung:
– Je stärker aus Sichtweise der Befragten sie und ihre Partner in den Grundorientierungen übereinstimmten, desto höher war die Beziehungszufriedenheit der Befragten. Je stärker sie von ihren Partnern abwichen, desto unzufriedener waren die Befragten mit ihrer Beziehung.
Selbst bei der sich typischerweise negativ auswirkenden Orientierung der Liebe als Leid und Schmerz verbesserte die subjektive Übereinstimmung in dieser Orientierung zwischen den Befragten und ihren Partnern die Beziehungszufriedenheit der Befragten.
„Auch bei negativen Merkmalen haben wir durch die Übereinstimmung den Eindruck, dass wir uns wenigstens verstehen. Oder wir sehen hier die Wirksamkeit der alten Volksweisheit geteiltes Leid ist halbes Leid“, ordnet Gebauer diesen Befund psychologisch ein.
Stärke der Zusammenhänge
Gebauer betont, dass alle gefundenen Zusammenhänge nur eine moderate Stärke aufwiesen:
„Wir dürfen solche Durchschnittseffekte nicht überbewerten. Sie gelten zwar für die meisten, aber nicht für alle und bei manchen kann es sogar komplett gegenteilig sein. Letztlich kommt es darauf an, was wir aus unseren Bildern oder Storys der Liebe machen und wie wir unsere Beziehungen gestalten.“
So könne beispielsweise eine Errettungs-Story zu einem tiefen Glück bei einigen führen, während bei anderen eine Asymmetrie entstehe oder nach der erfolgten Rettung Ernüchterung eintrete, ergänzt Gebauer.
Selbst die Grundorientierung Liebe als Leid und Schmerz könne im Einzelfall mit einer hohen Beziehungszufriedenheit einhergehen. Eine mögliche Erklärung hierfür sei, dass Menschen das Leid, was mit Beziehungen einhergehe, akzeptierten und es dadurch in seinen Auswirkungen bereits abminderten. „Mit Dingen, die wir akzeptieren, können wir besser umgehen“, erklärt Gebauer. Manche seien in der Liebe aber auch masochistisch veranlagt und würden den Schmerz als Lust erleben.
Monogam oder nicht-monogam?
Interessant sei zudem, dass die monogame versus nicht-monogame Orientierung keinerlei durchschnittlichen Effekt auf die Beziehungszufriedenheit ausübe. Dies sei konsistent mit einer zunehmenden Anzahl an wissenschaftlichen Studien, die keinen Unterschied in der Beziehungszufriedenheit zwischen monogamen Beziehungen, offenen Beziehungen und polyamoren Beziehungen feststellten. Erneut zeige sich, dass die Art der Gestaltung von Beziehungen wichtiger sei als die Art der Story.
Hoher Selbstbezug in der Liebe
Gut erkennbar werde aus den Befunden, dass wir bei aller Romantik in Beziehungen doch deutlich selbstbezogen agieren:
– Unsere eigene Zufriedenheit ergebe sich offenbar vorwiegend aus den Auswirkungen auf die eigene Person, weshalb Liebe als Leid und Schmerz uns nur dann nicht guttue, wenn es unsere eigene Story sei. Sei dies aber die Grundorientierung unserer Partner, beeinträchtige dies unsere Beziehungszufriedenheit nicht.
– Liebe als Engagement und Liebe als Moment der Freiheit täten uns demgegenüber vorwiegend gut, wenn dies die Orientierungen unserer Partner seien, weil wir so in den Genuss des Engagements und der gewährten Freiheit kommen können.
– Sehr deutlich lasse sich dieser Selbstbezug auch bei der Liebe als Nutzen erkennen, von der wir profitieren, wenn es unsere eigene Orientierung sei, die gleiche Orientierung uns aber unzufrieden mache, wenn es die Orientierung unserer Partner sei.
Letztlicher Wechselbezug
Allerdings sei dieser Selbstbezug aus psychologischer Sicht nicht so problematisch, meint Gebauer:
„Wir profitieren direkt vom Engagement unserer Partner. Aber umgekehrt gilt dies natürlich auch. Wenn wir uns selbst engagieren, werden also wiederum unserer Partner zufriedener, sodass die Beziehung als Ganzes profitiert“, erklärt Gebauer.
Übereinstimmung hilft
Für besonders wichtig hält Gebauer den Befund, dass die Ähnlichkeit der Partner in allen neun Orientierungen die Beziehungszufriedenheit der Befragten erhöhte. So ergebe sich die Chance, die Zufriedenheit in einer künftigen Beziehung durch eine geeignete Partnerwahl zu verbessern.
Rat für das Online-Dating
Gebauer empfiehlt Partnersuchenden, sich über die eigene Grundorientierung im Klaren zu sein und bei der Partnersuche auf eine Passung der eigenen Orientierung zu der Orientierung von Partnern zu achten.
Manchmal könne es aber auch Sinn machen, an einer Veränderung der eigenen romantischen Orientierung zu arbeiten: „Stellen wir fest, dass unsere Grundorientierung Liebe als Leid und Schmerz ist, sollten wir über eine Veränderung unserer Haltung zu Beziehungen nachdenken. Denn selbst eine masochistische Lust am eigenen Leid macht selten dauerhaft glücklich“, erläutert Gebauer.
Begrenzungen der Studie
Gebauer weist darauf hin, dass die Auffassung der in dieser Studie beobachteten statistischen Zusammenhänge als ursächlich lediglich eine psychologisch plausible Interpretation sei. Um die Kausalität der gefundenen Effekte tatsächlich zu beweisen, wären Längsschnittstudien erforderlich, die aber zu dieser Thematik noch nicht vorliegen.
„Beim Online-Dating ist es wie bei vielen anderen Fragen der praktischen Alltagsgestaltung auch: Wir können nicht abwarten, bis der definitive wissenschaftliche Beweis erbracht ist, sondern müssen bereits vorher handeln“, meint Gebauer.
Es sei daher eine gute Daumenregel, bei der Partnersuche auf eine Passung der Grundorientierungen zu achten.
Weitere Ergebnisse und Informationen
Informationen zu weiteren Ergebnissen, Stichprobe, Fragebogen, statistischer Auswertung und Aussagekraft der Befunde können in diesem Artikel im Gleichklang-Blog nachgelesen werden. Interview-Anfragen können direkt an Gebauer gerichtet werden.
Gleichklang.de ist eine psychologisch ausgerichtete Kennenlernplattform, die seit 2006 im Internet ihre Dienste anbietet. Gleichklang wendet sich an Menschen mit sozial-ökologischen Denkweisen. Gleichklang hat sich zusätzlich darauf ausgerichtet, Personen mit besonderen oder seltenen Merkmalen bei ihrer Partnersuche und Freundschaftssuche zu unterstützen. Es gibt nur kostenpflichtige Teilnahmen, um eine hohe Datei-Qualität zu gewährleisten. Guido F. Gebauer ist Psychologe und Pressesprecher bei Gleichklang und Verfasser des Dating-Ratgebers „A Perfect Match? Online-Partnersuche aus psychologischer Sicht“.
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