Am 23. November 2022 erhielt der Wissenschaftliche Direktor der Leibniz-Instituts DSMZ-Deutsche Sammlung von Mikroorganismen und Zellkulturen GmbH Prof. Dr. Jörg Overmann den Wissenschaftspreis des Stifterverbandes für die Deutsche Wissenschaft „Forschung in Verantwortung“. Den mit 50.000 Euro dotierten Preis erhielt der Mikrobiologe im Rahmen der Jahrestagung der Leibniz-Gemeinschaft in Berlin. Jörg Overmann ist ordentlicher Professor für Mikrobiologie an der Technischen Universität Braunschweig. Die hohe Auszeichnung würdigt die herausragenden wissenschaftlichen Leistungen von Jörg Overmann zur Biodiversität von Mikroorganismen, sein Engagement für die Biodiversitätsforschung und zum fairen Interessenausgleich bei der wissenschaftlichen Nutzung der globalen biologischen Vielfalt. Overmann ist einer der renommiertesten deutschen Mikrobiologen. Der Leiter der DSMZ-Stabsstelle Presse und Kommunikation PhDr. Sven-David Müller hat aus Anlass der Verleihung ein Interview mit dem Wissenschaftler geführt:
1. Bitte geben Sie einen Überblick über Ihren Wissenschaftlichen Werdegang.
Grundstudium Biologie an der Ruhr-Universität Bochum, Hauptstudium Biologie in Freiburg, 1987 dann Diplom. 1991 Promotion bei Norbert Pfennig an der Universität Konstanz, dafür erhielt ich 1992 den Promotionspreis der Vereinigung für Allgemeine und Angewandte Mikrobiologie. Von 1992 bis 1994 Postdoktorand mit einem DFG-Stipendium an der University of British Columbia, Vancouver, Canada. Anschließend bis zum Jahr 2000 Hochschulassistent am Institut für Chemie und Biologie des Meeres der Universität Oldenburg, dort 1999 habilitiert und Erlangung der venia legendi für das Fach Mikrobiologie. Von 2000 bis 2010 Professor für Mikrobiologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München und dort von 2003 bis 2009 auch geschäftsführender Direktor des Departments Biologie I. Seit Februar 2010 bin ich Direktor des Leibniz-Instituts DSMZ und gleichzeitig Professor für Mikrobiologie an der Technischen Universität Braunschweig. Zwischen 1992 und 2013 war ich zudem Fakultätsmitglied im Sommerkurs „Microbial Diversity´ am Marine Biological Laboratory in Woods Hole, Massachusetts, USA, und erhielt im Jahr 2013 den Inaugural Douglas Leigh Lecturer Award der Waksman Foundation for Microbiology in den USA.
2. Was sind die Herausforderungen der Zukunft in Ihrer Tätigkeit als Mikrobiologe und Wissenschaftlicher Direktor der DSMZ?
Nachdem wir alle wichtigen neuen Technologien an der DSMZ etabliert haben und viele zusätzliche kompetente Mitarbeitende für unsere Sammlungs- und Forschungsaufgaben gewinnen konnten, wird ein Schwerpunkt nun auf der Digitalisierung liegen – mit dem Ziel der Bereitstellung aller wichtigen Informationen zu Mikroorganismen für Forschende weltweit. Zweitens wollen wir unser eigenes Forschungsprofil weiter schärfen und so noch mehr zur Erforschung und zum Verständnis gerade der mikrobiellen Diversität beitragen.
3. Sie wurden am 23. November 2022 in Berlin mit dem Wissenschaftspreis des Stifterverbandes „Forschung in Verantwortung“ ausgezeichnet. Eine solche hochkarätige Würdigung ist immer auch eine Auszeichnung des bisherigen wissenschaftlichen Lebenswerks, mit der Ihre Arbeiten zur Biodiversität von Mikroorganismen und Ihr Engagement zum fairen Interessenausgleich bei der wissenschaftlichen Nutzung der biologischen Vielfalt weltweit anerkannt werden. Warum und wie setzen Sie sich für „Die Freiheit Datennutzung“ – OpenDSI – ein?
Der enorme Erkenntnisgewinn der Lebenswissenschaften in den letzten zwei Jahrzehnten wurde vor allem durch molekulare Forschungsansätze ermöglicht. Allerdings lassen sich aus molekularen Daten, also z.B. DNA-Sequenzen, nur durch den Vergleich mit anderen solchen Sequenzen neue wissenschaftliche Erkenntnisse gewinnen, das hat auch die COVID-Pandemie wieder eindrücklich gezeigt. Ebenso ist das Monitoring von Biodiversitätsveränderungen oder dem Artensterben bei Tieren und Pflanzen ohne den Vergleich von DNA-Daten undenkbar. Für diese Vergleiche müssen die Sequenzdaten aber frei zugänglich sein, was seit Jahrzehnten durch die existierenden internationalen Datenbanken gewährleistet wird. Jede Form der Einschränkung des bisherigen freien Zugangs zu molekularen Daten gefährdet den Biodiversitätsschutz und die Entwicklung einer biobasierten, nachhaltigen Ökonomie. Wir tragen einerseits diese wissenschaftlichen Fakten in die öffentliche Diskussion und führen andererseits mit unseren Kollegen im globalen Süden gemeinsame Projekte zur Erforschung und Nutzbarmachung der mikrobiellen Diversität durch. Damit demonstrieren wir auch beispielhaft, wie vorteilhaft der freie Austausch und die gemeinsame Bearbeitung von Daten ist. So untersuchen wir in einem deutsch-kolumbianischen Projekt die Fermentation von Kaffeebohnen mit dem Ziel, dass Kleinbauern reproduzierbar hochqualitativen Kaffee erzeugen können und so ihre Einkommenssituation dauerhaft verbessern können. In einer Welt, in der Wissen zunehmend erst durch Integration verschiedener Daten generiert wird, müssen wir auf internationale Kooperation setzen und nicht auf Abgrenzung, um zur Problemlösung gerade im globalen Süden beizutragen.
4. Was würde der globalen wissenschaftlichen Gemeinschaft drohen, wenn die „Freiheit der Daten“ eingeschränkt würde?
Gerade für Länder des globalen Südens wird der freie Datenzugang immer wichtiger, da nur so Entwicklungssprünge möglich werden. Vor allem: die Länder des globalen Südens nutzen mehr Daten aus den öffentlichen Datenbanken, als sie selbst dort einspeisen. Eine Beschränkung des Datenzugangs würde vor allem diese Länder treffen und ihre Entwicklung hin zu einer nachhaltigen Bioökonomie erschweren. Also genau das Gegenteil von dem, was sich die Befürworter eines beschränkten Datenzugangs erhoffen. Wenn die Lebenswissenschaften die Grundlage für die Entwicklung einer nachhaltigen, biobasierten Wirtschaft sind, dann ist ein freier Zugang zu Daten essentiell. Um den globalen Süden dabei zu unterstützen, muss also ein anderes Finanzierungsmodell gefunden werden als das von Netflix oder Spotify. Wir haben als Gegenentwurf zu einer Abgrenzungsstrategie einzelner Länder, die den freien Datenzugang sperren wollen, das alternative Konzept für einen multilateralen Fond entwickelt, mit dem dies gelingen kann.
5. Wie hat sich das Aufgabenspektrum des Leibniz-Instituts DSMZ verändert, seit Sie im Jahre 2010 Wissenschaftlicher Direktor sind?
Sehr stark. Neue, aktuelle Sammlungsgebiete wie die Cyanobakterien und Protisten wurden erschlossen und die Sammlung anderer, nicht mehr nachgefragter Bioressourcen aufgegeben. Zentral war die Etablierung neuester anspruchsvoller Techniken im Haus, insbesondere der Genomik, Metabolomik wie auch der Bioinformatik; diese stehen auch für den Service zur Verfügung. Schließlich haben wir an einem eigenständigen und international sichtbaren Forschungsprofil gearbeitet und dabei auch unsere Drittmitteleinwerbung massiv gesteigert. Um den neuen Ansprüchen in den Sammlungen, im Service und in der Forschung gerecht zu werden, wurde die DSMZ deutlich umstrukturiert. Die Zahl unserer Mitarbeitenden hat sich in den fast 13 Jahren nun nahezu verdoppelt.
6. Welchen Schwerpunkt hatte Ihre Forschungsarbeit an der DSMZ in den letzten Jahren?
Die funktionelle Diversität von Bakteriengemeinschaften, die Artentstehung von Bakterien sowie die Mechanismen bakterieller Interaktion.
7. Die Welt steht vor einem Umbruch – nicht nur durch die Corona-Pandemie und den Klimawandel. Wie kann die Mikrobiologie Akzente für ein „besseres Leben“ setzen?
An sehr vielen Stellen. Die mikrobielle Diversität hat beispielsweise direkte Relevanz für die praktische Bewältigung des Klimawandels. Die Bakteriengemeinschaften im Boden verändern sich stark in Trockenperioden, wie wir selbst vor einigen Jahren in einem Forschungsprojekt im nördlichen Namibia selber gut verfolgen konnten. Kollegen haben im Gewächshaus gezeigt, dass junger Maispflanzen durch Beimpfen der Wurzeln mit den richtigen Bakterien viel resistenter gegenüber längerer Trockenheit werden. Bringt man dieses Wissen zusammen, würde sich die Trockenresistenz von Ackerpflanzen auf dem Feld sicher optimieren lassen. Allein dieses Beispiel belegt, dass es für Bakterien ein immenses Anwendungspotential gibt. Wir werden dazu mit unseren Forschungsarbeiten auch zukünftig unseren Beitrag leisten.
8. Was ist das Spezifische der Sammlung und Forschung an der DSMZ und welchen Stellenwert nimmt „Digital Diversity“ momentan und zukünftig ein?
Das Leibniz-Institut DSMZ verfügt über die weltweit umfangreichste Sammlung der bakteriellen Diversität – bei uns erhält man etwa 80% aller bekannten Bakterienarten. Die DSMZ bietet zudem einzigartige Sammlungen wichtiger anderer Organismengruppen an, beispielsweise von Pflanzenviren, Bakteriophagen für die Phagentherapie oder von menschliche Zelllinien für die Krebsforschung. Wir haben über die vergangenen Jahre mit BacDive die weltweit einzige Datenbank zu physiologischen und biochemischen Eigenschaften von Bakterien etabliert, die mittlerweile monatlich durch 30.000 Forschende genutzt wird. Nun haben wir uns vorgenommen, weitere Datenbanken in einer gemeinsamen Plattform zu integrieren und weiterzuentwickeln, so dass über einen einzigen Zugang sämtliche wichtigen Daten zu Mikroorganismen weltweit zugänglich sind. Neben den über 82.000 Bioressoucen unserer Sammlungen werden wir also eine umfassende „Digitale Diversität“ für alle bereitstellen.
9. In welchen Bereichen werden Mikroorganismen (noch) unterschätzt?
In ihrer Rolle beim Klimawandel, ihrer Bedeutung für die Bodenfruchtbarkeit und Etablierung einer nachhaltigen Landwirtschaft und schließlich auch hinsichtlich ihres biotechnologischen Anwendungspotentials.
10. Welchen Stellenwert hat das Leibniz-Institut DSMZ als Forschungsinfrastruktur national und international?
Wir können wohl mit Recht sagen, dass die Sammlungen der DSMZ weltweit führend in ihrer Vielfalt und Qualität sind, dass unsere Serviceleistungen sowohl in ihrem Umfang als auch ihrem technischen Anspruch herausragend sind und dass unsere sammlungsbezogenen Forschungsleistungen bereits jetzt wichtige Akzente setzen. – Ende des Interviews
Das Leibniz-Institut DSMZ ist die weltweit vielfältigste Sammlung biologischer Ressourcen (Bakterien, Archaea, Protisten, Hefen, Pilze, Bakteriophagen, Pflanzenviren, genomische bakterielle DNA sowie menschliche und tierische Zellkulturen). An der DSMZ werden Mikroorganismen sowie Zellkulturen gesammelt, erforscht und archiviert. Die forschende Bioressourcen-Sammlung mit Sitz auf dem Science Campus Braunschweig-Süd beherbergt mehr als 82.000 Kulturen sowie Biomaterialien und hat rund 200 Beschäftigte. Die DSMZ liefert jährlich rund 40.000 Bioressourcen an 4.100 Kunden in 82 Länder.
DSMZ-Pressekontakt:
PhDr. Sven-David Müller, Pressesprecher des Leibniz-Instituts DSMZ-Deutsche Sammlung von Mikroorganismen und Zellkulturen GmbH
Tel.: 0531/2616-300
Email: press@dsmz.de
Die DSMZ ist das größte Bioressourcenzentren weltweit. Die Sammlung umfasst derzeit über 82.000 Bioressourcen.
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