„Eine Krone gehört auf den Kopf nicht in den Mund“

Moderne Zahnheilkunde orientiert sich an der Natur

Rund 250 Zahnärztinnen und Zahnärzte aus ganz Deutschland bildeten sich am 19. und 20. Juli in Ludwigsburg bei Stuttgart weiter. Ihr Thema: eine die Natur nachahmende Zahnheilkunde. Hauchdünne, aufgeklebte Keramikschalen gehen dabei eine solide Verbindung mit dem Zahn ein. Defekte Zähne lassen sich auf diese Weise substanzschonend sowie ästhetisch ansprechend versorgen und längerfristig retten. Traditionelle Kronen sind vielfach überflüssig.

Krone? Dieses Wort möchten Verfechterinnen und Verfechter einer sogenannten biomimentischen Zahnheilkunde am liebsten aus ihrem Fachvokabular verbannen. Sie beschäftigen sich intensiv mit der Biologie, der Mechanik, der Funktion und dem Aussehen von intakten Zähnen, um sie, wenn Schäden auftreten, auf möglichst naturnahe Weise reparieren zu können. Vater der Bewegung ist der Schweizer Professor Dr. Pascal Magne, der derzeit in Los Angeles lehrt. Der Gnathologische Arbeitskreis Stuttgart, kurz: GAK Stuttgart, eine zahnärztliche Fachgesellschaft, konnte ihn jetzt als Referenten gewinnen. Ende Juli 2019 gestaltete er eine zweitägige Fortbildung im nahe gelegenen Ludwigsburg. Rund 250 Zahnärztinnen und Zahnärzte aus ganz Deutschland nahmen teil.

Wunderwerk Zahn
Dr. Wolfram Kretschmar, Präsident des GAK Stuttgart e.V. und Zahnarzt in Ludwigsburg erläutert, worauf es den Anhängerinnen und Anhängern dieses modernen Behandlungskonzepts ankommt. „In der Natur liegt die höchste Vollendung“, sagt er. „Das Wertvollste was wir haben, ist die eigene natürliche Zahnhartsubstanz.“ Sie ist raffiniert aufgebaut: Außen besteht sie aus dem sogenannten Zahnschmelz. Er ist sehr hart und spröde. Darunter liegt das flexible, knochenähnliche Dentin oder Zahnbein. Die beiden Substanzen sind durch die Schmelz-Dentin- Grenze so verbunden, dass eine Symbiose entsteht – ein perfektes Gleichgewicht aus Festigkeit und Elastizität. „Traditionelle Behandlungen geschädigter Zähne zerstören diese ausgeklügelte Balance des natürlichen Zahnes jedoch oft“, kritisiert Kretschmar. „Daher fasziniert mich das Prinzip der Biomimetik, der Nachahmung der Natur, so sehr: Wir nehmen intakte Zähne als Maßstab, um geschädigte Exemplare nach diesem Vorbild möglichst naturgetreu wiederherzustellen. Die vorhandene eigene Zahnsubstanz bleibt dabei fast vollständig erhalten.“

Natürliche Balance wiederherstellen
Zähne für eine Versorgung mit künstlichen Kronen auf unnatürliche Stummel zu reduzieren, kann diesem Anspruch nicht gerecht werden. Bis zu 76 Prozent der vorhandenen Zahnhartsubstanz müssen für eine solche Behandlung weichen! Theoretisch – eine optimale Passung und eine vorbildliche Zahnpflege vorausgesetzt – könnten Kronen zwar ewig halten. Doch in der Praxis bietet bereits ein minimaler Spalt zwischen Zahnrest und Krone ein Einfallstor für Bakterien, die die verbliebene Zahnsubstanz angreifen. Die Biomimetik bietet eine Alternative: „Deutlich besser geschützt ist ein reparierter Zahn, wenn wir unsere moderne Klebetechnik anwenden und ihn mit Keramikmaterial ergänzen“, berichtet Kretschmar. „Der Kleber dringt in die Zahnsubstanz und den keramischen Werkstoff regelrecht ein und verbindet die beiden Elemente auf ähnliche Weise wie die Schmelz-Dentin-Grenze den Schmelzmantel und das Zahnbein beim naturgesunden Zahn.“ Pascal Magne führte Bruchexperimente durch, die das nachweisen. Da sich das Keramikmaterial zudem hauchdünn verarbeiten lässt, können die behandelnden Fachleute viel natürliche Zahnsubstanz retten. „Eine solche Versorgung ist zwar aufwändiger und dadurch zunächst teurer. Da die Zähne jedoch anschließend viel länger gesund bleiben, zahlt sich der Invest unterm Strich auch finanziell aus“, erklärt der Zahnheilkundler.

Zahngesundheit: Auf die richtige Pflege kommt es an
Patientinnen und Patienten sollten es jedoch idealerweise gar nicht soweit kommen lassen, dass eine Kronenversorgung überhaupt zur Debatte steht. „Dann ist nämlich die sogenannte Todespirale des Zahnes, die mit einer kleinen Füllung begann, bereits sehr weit fortgeschritten“, sagt Kretschmar. Jeder Mensch habe es selbst in der Hand, seine Zähne gesund zu erhalten, indem er sie optimal pflege. Aufgabe der Zahnärztinnen und Zahnärzte sei es, ihre Patientinnen und Patienten dabei zu unterstützen. „Gemeinsames Ziel muss es sein, Zahnbeläge zu vermeiden. Denn sie bieten Bakterien ideale Wachstumsbedingungen. Als Fachleute wissen wir, wie es geht, Zähne und Zahnzwischenräume entsprechend sauber zu halten. Dieses Wissen
geben wir weiter“, erklärt der Zahnarzt. Bei regelmäßigen professionellen Zahnreinigungen, überprüfen ausgebildete Detalhygienikerinnen und -hygieniker den Status, entfernen Beläge an schwer zugänglichen Stellen, geben Tipps für die Mundhygiene und motivieren, dran zu bleiben. „Es ist wichtig, das Vorsorgekonzept individuell an die Bedürfnisse der einzelnen Patientinnen und Patienten anzupassen“, sagt Kretschmar, der sich freut, wenn seine Prophylaxemaßnahmen Wirkung zeigen. Sein Tipp zum Schluss: „Ich rate zu einer Zahncreme mit Fluorid. Die Substanz stärkt den äußeren, harten Zahnschmelz und erschwert es Bakterien, die Zähne anzugreifen.“

Über den Gnathologischen Arbeitskreis Stuttgart e.V.
Der Gnathologische Arbeitskreis Stuttgart e.V. (GAK) ist mit rund 600 Mitgliedern der größte zahnmedizinische Arbeitskreis in Deutschland. Zweck des GAK ist es, den kollegialen Austausch zu fördern und Fortbildung über funktionsbezogene und exzellente Zahnheilkunde anzubieten. Weitere Informationen unter: www.gak-stuttgart.de

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