Einseitige Schuldzuweisungen sind einfacher
sup.- Die Tendenz ist seit Jahren eindeutig: Die Deutschen werden immer dicker. Zwei Drittel der Männer (67 Prozent) und die Hälfte der Frauen (53 Prozent) sind laut Zahlen des Robert Koch-Instituts übergewichtig. Rund ein Viertel von ihnen ist sogar stark übergewichtig (adipös). Die Gründe für diese Entwicklung sind vielschichtig. Genetische Faktoren, Stress, Schlafmangel, Ernährungsverhalten sowie Bewegungsdefizite begünstigen die Übergewichtsproblematik. Unter dem Strich entscheidend ist aber die Energiebilanz. Erwachsene, die nicht mehr Energie über die Nahrung aufnehmen als sie über die körperliche Aktivität verbrauchen, müssen sich keine Gedanken über ihr Gewicht machen. Aber exakt dieses Gleichgewicht gelingt der Mehrzahl der Bundesbürger nicht mehr, weil ihr Energieverbrauch in den letzten Jahrzehnten kontinuierlich gesunken ist.
Laut einer aktuellen Forsa-Umfrage bezeichnet sich fast jeder zweite Deutsche heute als Sportmuffel (30 Prozent) oder sogar als Antisportler (18 Prozent). Dementsprechend bekennen sich 42 Prozent der Bundesbürger abends zum Couch-Potato. Die mangelnde Motivation zur körperlichen Aktivität erklären 37 Prozent u. a. mit Krankheit oder Übergewicht, 34 Prozent geben schlechtes Wetter als geeignete Ausrede an und 35 Prozent behaupten, sie hätten schlicht keine Zeit für Sport.
Was die meisten Menschen aus eigener Erfahrung wissen, bestätigt auch eine Vielzahl von Studien: Gravierend verändert hat sich in den letzten Jahrzehnten nicht die Kalorienaufnahme, sondern der Kalorienverbrauch. Dennoch wird der Hauptverdächtige für die Entstehung von Übergewicht gerne ignoriert oder zumindest nicht angemessen in den Mittelpunkt gestellt. Stattdessen stehen vor allem die Ernährung und die Lebensmittelindustrie am Pranger. Insbesondere Zucker und mit Zucker zubereitete Nahrungsmittel gelten aktuell Nichtregierungsorganisationen, selbsternannten Ernährungspäpsten und auch Politikern als die eigentlichen Übeltäter für Übergewicht. Sie lassen sich bei ihren einseitigen Schuldzuweisungen auch nicht durch statistische und wissenschaftliche Fakten irritieren, verunsichern dafür aber die Verbraucher und versperren damit den Blick auf die ausschlaggebende Ursache für eine unausgeglichene Energiebilanz, den nachweislich weit verbreiteten Bewegungsmangel.
Aber es ist natürlich auch einfacher, einzelne Nährstoffe zu verdammen, als täglich zu mehr körperlicher Aktivität aufzurufen. Zu denken sollte allerdings geben: Der Pro-Kopf-Absatz von Zucker liegt in Deutschland seit über 40 Jahren nahezu unverändert bei jährlich 35 Kilo. Damit befindet sich der Zuckerkonsum im Rahmen der Zufuhrempfehlung der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) von maximal zehn Prozent der Gesamtenergiezufuhr pro Tag. Eine nur annähernd vergleichbar konstante Bilanz bezüglich des Bewegungsniveaus der Bundesbürger gibt es hingegen nicht. Zeit für mehr Ehrlichkeit also fordert auch der Wirtschaftspublizist Detlef Brendel, Co-Autor des lesenswerten Buches
“ Die Zucker-Lüge “ (Ludwig-Verlag, 16,99 Euro): „Auf jedem TV-Gerät oder Spielkonsole, auf jedem Laptop oder Smartphone müsste der Hinweis angebracht werden: Kann zu Übergewicht, Diabetes mellitus und weiteren Folgeerkrankungen führen.“
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