„Active Sourcing und Talent-Pools sind alternativlos für die Personalrekrutierung“
Heilbronn, 11. August 2016
Die Digitalisierung der Gesellschaft und der sogenannte Information Overload haben großen Einfluss auf das Bewerbungsverfahren. Schon heute liegt der papierbasierte Bewerbungseingang bei den 1.000 größten Unternehmen in Deutschland bei nur noch 13 Prozent und wird weiter sinken. Die Recruiter der Top 1.000 Unternehmen beschäftigen sich im Durchschnitt lediglich mit 42,2 Prozent der eingegangenen Bewerbungen intensiv. Andreas Eckhardt, Professor für Personalmanagement an der German Graduate School of Management and Law (GGS) und Mitautor der Studie Recruiting Trends 2016 gibt im Interview einen Überblick über aktuelle Entwicklungen im Bewerbungsverfahren und stellt Bewerbungsformen der Zukunft vor.
Bewerbungen sind heute noch stark vom Anschreiben und vom Lebenslauf geprägt. Wie sieht das Bewerbungsschreiben der Zukunft aus?
Unabhängig von Anschreiben und Lebenslauf ist das Bewerbungsschreiben der Zukunft generell elektronisch. Weder Unternehmen noch Bewerber haben irgendeine Präferenz für die papierbasierte Bewerbungsmappe. Anschreiben und Lebenslauf werden im Bewerbungsschreiben der Zukunft noch enthalten sein, aber ihre Bedeutung und das Format werden sich ändern. Sowohl die an unserer Studie Recruiting Trends 2016 befragten Unternehmen als auch die beteiligten Stellensuchenden sehen die Bedeutung des Anschreibens in Zukunft als geringer an. Kurzprofile in Karriere-Netzwerken und Internet-Stellenbörsen zur Präsentation des eigenen Lebenslaufs werden in Zukunft eine wichtige Rolle spielen. Fast sechs von zehn Unternehmen und sieben von zehn Stellensuchenden geben an, dass diese in Zukunft von hoher Bedeutung sein werden. Trotzdem sehen beide Gruppen noch einen langen Weg zur One-Click-Bewerbung und messen dieser aktuell noch eine eher geringe Rolle zu.
Nur vier von zehn Bewerbungen werden durch Unternehmen intensiv geprüft. Worauf kommt es in einer Bewerbung an?
Aufgrund des zeitlichen Drucks können Bewerbungen häufig nur selektiv überflogen werden. Das führt dazu, dass der Blick auf das Gesamtbild der Bewerbung und des Bewerbers nicht komplett ist. Aus Sicht des Kandidaten sollte aber genau dies das Ziel sein, denn ebenso wichtig wie der inhaltliche Fit eines Kandidaten zu einer offenen Stelle ist auch der kulturelle Fit des Bewerbers zum Unternehmen und dessen Mitarbeitern. Eine gute Bewerbung bietet eine inhaltliche und visuelle Symbiose in Darstellung des Kandidaten-Fits zu den Anforderungen der zu besetzenden Stelle und dem rekrutierenden Unternehmen. Diese Informationen müssen für den Recruiter beim ersten selektiven Lesen klar und schnell ersichtlich sein, der Bewerber sollte sie deshalb prominent im Anschreiben und im Lebenslauf platzieren.
Mit einer One-Click-Bewerbung können laut Ihrer Studie Stellensuchende einfach per Mausklick ihr aktuelles Bewerberprofil in die Datenbank des Wunscharbeitgebers importieren. Warum sträuben sich viele Arbeitgeber noch dagegen?
Sieben von zehn der Top 1.000 Unternehmen nennen als möglichen Grund fur die niedrige Bewertung der One-Click-Bewerbung die Selektion, welche durch die fehlende Individualität der Bewerbung erschwert wird. Zudem geht mehr als die Hälfte der befragten Unternehmen davon aus, dass aus der One-Click-Bewerbung eine Bewerbungsflut resultieren könnte (61 Prozent). Weitere Gründe sind technischer Natur, wie der Aufbau einer Schnittstelle zwischen den eigenen HR-Systemen und Karrierenetzwerken sowie datenschutzrechtliche Erwägungen in Bezug auf die Privatsphäre der Bewerber.
Die anonymisierte Bewerbung nach Vorbild der USA verzichtet zur Chancengleichheit auf einige persönliche Angaben wie Herkunft, Alter oder Familienstand. Für wie sinnvoll halten Sie das Verfahren?
Anonymisierung kann natürlich dazu beitragen Diskriminierung in frühen Stufen des Rekrutierungsprozesses bei der Selektion von Bewerbungen zu verhindern, aber spätestens in einer späteren Stufe des Prozesses, beispielsweise wenn sich Kandidaten in einem Einstellungsinterview offenbaren müssen, tritt das gleiche Problem wieder auf. Zudem kann man auf viele Faktoren wie Herkunft und Alter bereits deutlich aus dem Kontext schließen, so korreliert eine langjährige Arbeitserfahrung zumeist auch mit einem gewissen Lebensalter. Als sinnvoll erachte ich das Weglassen von Bewerbungsfotos, da viele Studien bereits gezeigt haben, dass Recruiter dazu neigen visuelle Faktoren gegenüber inhaltlichen Qualifikationen über zu bewerten.
Active Sourcing und Talent-Pools gewinnen an Bedeutung. Was steckt dahinter und welche Vorteile bieten diese beiden Methoden Bewerbern und Arbeitgebern?
Wir haben auf dem Arbeitsmarkt einen akuten Fachkräftemangel. Vor dem Hintergrund des Wertewandels ist speziell bei den jüngeren Generationen Active Sourcing mit Talent-Pools ein alternativloses Instrument zur Personalrekrutierung. Bei immer weniger qualifizierten Leuten auf dem Arbeitsmarkt ist die Identifikation und Direktansprache interessanter Kandidaten zwingend notwendig für Unternehmen jeder Größe und Branche, zumal 45 Prozent der Kandidaten auch lieber von einem Unternehmen direkt angesprochen werden, als selbst ein Unternehmen über eine Bewerbung zu kontaktieren. Über Active Sourcing werden im ersten Schritt Talent-Pools mit interessanten Kandidaten gefüllt, auch wenn zu diesem Zeitpunkt keine Vakanz für die betreffende Person existiert. Auf Basis dieses Pools kann dann bei Auftreten einer Vakanz gewährleistet werden, dass genug Kandidaten mit entsprechender Qualifikation für die offene Stelle vorhanden sind.
Welche Rolle spielt Social Media aktuell im Recruiting? Welche Anforderungen müssen Mitarbeiter der Personalabteilung dafür erfüllen?
Sieben von zehn Unternehmen und sechs von zehn Stellensuchenden bewerten den Einsatz von Social Media in der Rekrutierung als positiv. Die Nutzung ausgewählter Social Media-Kanäle kann aus Unternehmenssicht in vier klassische Anwendungsszenarien unterteilt werden: Stellenausschreibung, Imagewerbung und Employer Branding, Active Sourcing sowie die Suche nach Informationen über bereits identifizierte Kandidaten. Bei der Ausschreibung von Stellen und der Suche nach Informationen dominiert in Deutschland das Karrierenetzwerk XING, während für Imagewerbung und Employer Branding Facebook der präferierte Kanal ist. Um in Social Media Stellensuchende und Karriereinteressierte zielführend anzusprechen, müssen Recruiter die Fähigkeit haben, diesen Gruppen aufzuzeigen, dass das Anforderungsprofil der zu besetzenden Stelle zu deren eigenen Fähigkeiten sowie beruflichen Projekten passt. Weitere wichtige Eigenschaften für Recruiter sind die Fähigkeit, offene Stellen und das Unternehmen detailliert zu beschreiben sowie das Talent zur persönlichen Ansprache der Bewerber über Social Media.
Warum stoßen neue Kommunikationswege wie WhatsApp bei vielen HR-Verantwortlichen auf Ablehnung?
Ich würde nicht sagen, dass neue Kommunikationswege wie Instant Messaging über WhatsApp bei vielen HR-Verantwortlichen auf Ablehnung stoßen. Diese Kanäle müssen aber zuerst noch ihre Relevanz für das Recruiting unter Beweis stellen. Whatsapp eignet sich speziell zur Kommunikation mit großen Gruppen und könnte als erster unmittelbarer Anlaufpunkt bei Kandidaten-Fragen rund um die Themen Bewerbung und Karriere dienen. Die Unmittelbarkeit und die Transparenz in der Kandidatenkommunikation wären hier mögliche Pluspunkte, welche die Unternehmen bei ihren Kandidaten sammeln könnten. Inwieweit dies aber deren tatsächliche Bewerbungsentscheidung beeinflusst oder das Image der Unternehmen verbessert, ist noch unbekannt und ein spannendes Feld für zukünftige Forschung in diesem Bereich.
Die Studie Recruiting Trends 2016 ist abrufbar unter: bit.ly/ggs-recruiting-trends
Zur Person:
Andreas Eckhardt ist Professor für Personalmanagement an der GGS. In seiner Forschung untersucht er unter anderem die Trends im Recruiting und Personalmarketing, beschäftigt sich mit der IT-Unterstützung im Personalmanagement und Fragen der Schatten-IT. Offen gegenüber Neuem ist Eckhardt auch in der Lehre: So startet im Herbst 2016 sein Kurs „Human Ressource Management in the Digital Age“ als MOOC. Im aktuellen Handelsblatt BWL-Ranking 2014 rangiert Eckhardt auf Platz 33 der besten Forscher unter 40 Jahre im deutschsprachigen Raum.
Die German Graduate School of Management and Law ist eine staatlich anerkannte private Hochschule, die von der Dieter Schwarz Stiftung gefördert wird. Sie ist international ausgerichtet und arbeitet weltweit mit führenden Universitäten in Forschung und Lehre zusammen. Im Zentrum von Lehre und Forschung steht die Entwicklung der Unternehmerpersönlichkeit und die Gestaltung von Innovationsprozessen. Die German Graduate School of Management and Law konzentriert sich auf berufsbegleitende Studienprogramme für Führungstalente und bietet Weiterbildungsprogramme für Führungsteams an.
Kontakt
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