Icils-Studie setzt an der falschen Stelle an – und Digital Natives brauchen dringend Nachhilfe
Die Icils-Studie zeigt: Die sogenannten Digital Natives, also die Generation, die mit Handy, Smartphone und Internet groß geworden sind, brauchen dringend Nachhilfe. Diese Auffassung vertritt Professor Dr. Gerald Lembke, Studiengangsleiter für Digitale Medien an der „Dualen Hochschule Baden- Württemberg“ (DHBW) am Standort Mannheim. „Die mäßige Entwicklung von IT-Kompetenzen bei Achtklässlern sind neben einer dürftigen internettechnischen Ausstattung von Schulen die zwei Kernergebnisse aus bundesdeutscher Sicht“, so Lembke weiter.
So heißt es in der Studie: „Fast die Halfte, und damit der großte Anteil der Jugendlichen in Deutschland, (…) sind damit u.a. in der Lage, unter Anleitung Dokumente zu bearbeiten und einfache Informationsprodukte zu erstellen.“
Das hat wenig mit Medienkompetenz zu tun, sondern ist eine originäre Fähigkeit, die ohne Computer zu erlernen ist. Statt sich mit den unzähligen Funktionen einer Textverarbeitung zu beschäftigen, sollten Kindern lernen, ihre Gedanken fehlerfrei auf Papier schreiben zu können. Studien aus der empirischen Bildungsforschung (John Hattie 2008) belegen, dass diese Fähigkeit durch digitale Medien nicht verbessert wird. Schüler müssen analoge Dokumente und Informationsprodukte herstellen können, die in einem zweiten Schritt digitalisiert werden können.
Ein weiteres Studienergebnis: „Achtklasslerinnen und Achtklassler in Deutschland besuchen Schulen, in denen das Schuler-Computer-Verhaltnis bei 11,5 zu 1 und somit im Bereich des Mittelwerts der an ICILS 2013 teilnehmenden Staaten der EU (11,6 zu 1) liegt, allerdings deutlich hoher ausfallt als in ausgewahlten anderen Landern.“
Die Anzahl der Schul-Computer liefert keine valide Aussage über die Qualität von Lehr-/Lernprozessen. Der Umgang zum Beispiel mit Potenzen mit ganzzahligen Exponenten – wie es im Mathematikunterricht in der achten Klasse bundesweit gelernt wird – kann ein Computer schneller berechnen; aber den Weg dahin lehrt ein Computer nicht. Das Lernen erfolgt durch Verstehen, Nachvollziehen, Anwenden/Ausprobieren, Korrigieren. Nur so entsteht ein dauerhafter Lernerfolg. Computer können dem Schüler diesen Lernprozess nicht abnehmen.
„Etwa drei Viertel der Lehrkrafte in Deutschland (75,8 Prozent) haben dagegen Bedenken, dass Schulerinnen und Schuler unreflektiert Inhalte aus dem Internet kopieren.“
Die Bedenken sind in der pädagogischen Praxis berechtigt. Denn sie zeigt, dass fremdes geistiges Eigentum immer mehr als eigenes ausgegeben wird. Nach dem Börsenverein des Deutschen Buchhandels hat sich die Zahl der urheberrechtlich Belangten im Alter von 10-19 Jahren in den vergangenen drei Jahren mehr als verdoppelt. Die Ursache liegt nicht in einer fehlenden Medienkompetenz, sondern in der Bequemlichkeit, der eingeschätzten Unwichtigkeit und der fehlenden Würdigung geistiger Arbeit. Diese Sekundärkompetenzen gilt es zu vermitteln und zu trainieren. Erst dann dürfen Computer diese Arbeit erleichtern.
Falsche Schlussfolgerungen befürchtet
„Ich befürchte, dass die Verantwortlichen die falschen Schlüsse aus den Studienergebnissen ziehen. Die Entwicklung sogenannter IT-Kompetenzen bei Kindern erzeugen aus neurobiologischer und pädagogischer Sicht Nachteile für das spätere Leben. Und eine Mehrausstattung mit Computern und Online-Netzwerken in Schulen wird der originären Aufgabe der Schulen eben nicht gerecht“, so Lembke.
Anders ausgedrückt: Der bessere Umgang mit digitalen Medien, das Heranführen von Technologien an Kinder verbessert weder das Lernen noch die Lernergebnisse. Demgegenüber sind die Risiken gehirnlicher Fehlentwicklungen bei unreflektierter Nutzung von IT-Geräten in der Schule heute bereits wissenschaftlich belegt. Die einzige Schlussfolgerung aus diesen Erkenntnissen kann aus Lembkes Sicht nur sein: „Halten wir die Schulen von Informationstechnologien möglichst frei und setzen wir diese Medien erst ab einem Alter von 16 Jahren pädagogisch sinnvoll als eines von vielen komplementären Lernwerkzeugen ein.“ Bei einer gegenteiligen Entwicklung – also einem massiven Computer-Einsatz in der Schule – fürchtet Lembke, dass „die Technologien nicht komplementär, sondern als Ersatz für Präsenzunterricht und als Ersatz des pädagogisch wertvollen Lehrereinsatzes genutzt werden.“
Professor Dr. Gerald Lembke ist Studiengangsleiter für Digitale Medien an der „Dualen Hochschule Baden- Württemberg“ (DHBW) am Standort Mannheim. Sein Schwerpunkt ist das Management von Digitalen Medien und deren Einsatz in Unternehmen. Er ist Präsident des „Bundesverbandes für Medien und Marketing“ (BVMM), einer Forschungsvereinigung und Kommunikationsplattform, die sich im deutschsprachigen Raum an die Generation X und ihre Arbeitgeber richtet. Neben seinen repräsentativen Auftritten hält Prof. Lembke bis zu 50 Vorträge im Jahr, die sich mit der Welt der digitalen Medien beschäftigen, und zwar auf Konferenzen und Seminaren in der DACH-Region. Prof. Lembke gilt, laut Wirtschaftswoche, als „… eine der wichtigsten Anlaufstellen in allen Fragen der Digitalität“.
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