Der milde Monarch: DFG-Projekt erforscht die Praxis von Gnadengesuchen unter Kaiser Rudolf II.
Solche Gnadengesuche waren zu Zeiten des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nationen eine häufig praktizierte Form der Kommunikation, die sich jedoch nicht auf Bitten von Straftätern um Begnadigung beschränkte. „Die Anliegen der Untertanen spiegeln alle Problemlagen des damaligen Alltags wider: Sie umfassen Bitten um Verleihung eines Privilegs für ein Gewerbepatent, die Legitimierung unehelicher Kinder, Beschwerden über die Obrigkeit bis hin Problemen bei der Einbringung von Schulden“, erklärt Prof. Dr. Sabine Ullmann (Professur für Vergleichende Landesgeschichte und Geschichte der Frühen Neuzeit an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt). Gemeinsam mit ihrer österreichischen Kollegin Prof. Dr. Gabriele Haug-Moritz (Universität Graz) und drei wissenschaftlichen Mitarbeitern untersucht sie noch bis 2015 die so genannten Untertanensuppliken am Reichshofrat unter Kaiser Rudolf II. (1576-1612). Gefördert wird das Projekt von der Deutschen Forschungsgemeinschaft DFG sowie dem österreichischen Fonds zur wissenschaftlichen Förderung FWF.
Suppliken waren ein bislang kaum beachteter Baustein der politischen Ordnung im Reich. Das lateinische Wort supplicare bezeichnet eine flehentlich mit Kniefall vorgetragene Bitte um Gnade, sie sich offensichtlich vom antiken römischen Kaiserkult übertragen hatte. Neben Adeligen und den Ständen wandten sich regelmäßig auch viele „einfache“ Bürger und Bauern, Frauen und Männer, Christen und Juden an den Kaiser. Dieser ließ die Suppliken entweder durch den Reichshofrat bearbeiten oder nahm sich Einzelfällen sogar persönlich an. Rund 8000 solcher Verfahren sind im Haus-, Hof- und Staatsarchiv Wien überliefert. Knapp die Hälfte davon stammt von Untertanen.
„Indem der Kaiser auf die Nöte und Sorgen seiner Untertanen reagierte, konnte er als Reichsoberhaupt seine Rechts- und Gnadengewalt demonstrieren. Häufig wurden die Bitten positiv beschieden, mitunter auch ohne genauere Prüfung des Sachverhaltes“, so Ullmann. Die Forscher interessieren zum einen die narrativen Strategien der Bittsteller, zumal die Schriften zum Teil von Notaren, zum Teil von den Bittstellern selbst verfasst wurden. Zum anderen will das Projekt einen Beitrag zum besseren Verständnis der Reichshofrates leisten, dessen Überlieferungen systematisch ausgewertet werden. Ursprünglich als kaiserliches Beratungsgremium entstanden entwickelte sich der Rat zu einem der höchsten Gerichte, das gleichzeitig auch Verwaltungsorgan für die kaiserliche Gnadengewalt war.
Der an der Katholischen Universität angesiedelte Projektteil befasst sich insbesondere mit der Frage, wie sich Erfolg oder Misserfolg der Gnadengesuche im Umfeld Bittsteller auswirkten. Dazu werden die Überlieferungen geistlicher und weltlicher Herrschaftsträger in Franken, Schwaben und Altbayern herangezogen und ausgewertet. Die österreichischen Wissenschaftler beschäftigen sich insbesondere mit der Verfahrenspraxis am Reichshofrat. Um dem speziellen Quellentyp der Suppliken gerecht zu werden und die darin enthaltenen Informationen unter verschiedenen Fragestellungen analysieren zu können, entwickelte das Grazer „Zentrum für Informationsmodellierung in den Geisteswissenschaften“ eigens eine webbasierte Projektdatenbank, die das umfassende Datenmaterial für die Forschung erschließt und zur Verfügung stellt.
Weitere Informationen zum Projekt finden sich unter www.suppliken.net.
Hinweis an Medienvertreter: Für Fragen zu diesem Projekt steht Ihnen Prof. Dr. Sabine Ullmann (sabine.ullmann@ku.de) zur Verfügung.
Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt
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