Hochmobile Lebensformen: Last oder Lust?
60 Prozent der Flugmeilen, Bahn- oder Auto-Kilometer, die jährlich von Bundesbürgern zurückgelegt werden, entfallen auf eine kleine Gruppe sogenannter „Hochmobiler“. Sie sind Fernpendler, müssen aus beruflichen Gründen viel reisen oder können es sich einfach leisten, überall auf der Welt unterwegs zu sein. Ab circa 40.000 Kilometern im Jahr zählt man zu dieser privilegierten Gruppe. Auch Professoren gehören dazu. In der aktuellen Ausgabe des Forschungsmagazins „Forschung Frankfurt“ überprüfen wir die Aussagen einer quantitativen Befragung der Mobilitätsforschung am Beispiel vielreisender Professoren.
Große repräsentative Befragungen wie die Erhebung „Mobilität in Deutschland“, bei denen etwa alle vier Jahre 60.000 deutsche Haushalte befragt werden, liefern die Eckdaten zum Verkehrsgeschehen in Deutschland. „Hochmobile sind dabei jedoch in der Regel stark unterrepräsentiert. Sie werden daher auch kaum bei der Verkehrsplanung und Erstellung von Szenarien zukünftiger Entwicklungen im Mobilitätsbereich berücksichtigt“, weiß Robert Schönduwe, Doktorand in der Arbeitsgruppe Mobilitätsforschung von Prof. Martin Lanzendorf.
Verkehrsforscher gehen zumeist von traditionellen Haushaltsformen und Lebensstilen aus. Heute peitschen jedoch die Wogen der Globalisierung durch die Biografien hoch spezialisierter und hochmobiler Wissensarbeiter. Multilokale Lebensphasen werden häufiger, beispielsweise, wenn nach dem Kauf des Eigenheims ein beruflich bedingter Ortswechsel notwendig wird. Dadurch werden viele zu Fernpendlern. Andere Menschen leben zwar über Jahre mit ihrem Partner am gleichen Ort, zählen aber durch ihren Beruf zu den Hochmobilen. Dieser Typus ist auch unter Wissenschaftlern weitverbreitet, insbesondere, wenn sie in internationalen Projekten arbeiten.
Was Mobilitätsforscher wie Robert Schönduwe aus dem Verhalten von Hochmobilen lernen, ist, dass es für eine nachhaltige und ressourcenschonende Mobilität nicht reicht, Menschen aus dem Auto zu holen. In seiner Online-Befragung, in der er die Mobilitätsbiografien von 745 Hochmobil-en in den letzten zehn Jahren ermittelte, fand Schönduwe heraus, dass ein Viertel der Befragten kein Auto besitzen. Sie wohnen aber in Städten, die wie Frankfurt mit Autobahnkreuzen, ICE-Anschluss und Flughafen den Zugang zu genau den Transportmitteln erleichtern, die eine hochmobile Lebensform erst ermöglichen.
Die klassischen Strategien für eine nachhaltige Mobilität – Vermeidung und Verlagerung – sind bei hochmobilen Wissenschaftlern wie dem Kernphysiker Henner Büsching nur schwer zu verwirklichen, weil sie sonst nicht in internationalen Kooperationen wie dem CERN bei Genf arbeiten könnten. Sie sind, trotz täglicher Kommunikation über virtuelle Plattformen, darauf angewiesen, ihre Kollegen aus ganz Europa, den USA und Japan regelmäßig zu treffen.
Unterwegssein gehört auch für die meisten Geisteswissenschaftler zu ihrer Profession. Das Reisen hilft ihnen, Bekanntes mit anderen Augen zu sehen und neu zu reflektieren. Anders als einst Immanuel Kant, der ja Königsberg nie verlassen haben soll. Aber letztlich ist auch für die Philosophen heute – so Rainer Forst im Interview -geistige Mobilität wichtiger als geografische: „Es gibt ja auch Leute, die sehr viel reisen, aber dennoch von der Welt nicht viel mitbekommen. Wenn Mobilität überhaupt einen Vorteil hat, dann nur, weil sie den Geist erweitert. Und ein erweiterter Geist ist auch immer ein Geist, der gewisse Wurzeln hat.“
Ein Probeheft von Forschung Frankfurt kann kostenlos bei Helga Ott bestellt werden unter Ott@pvw.uni-frankfurt.de.
Informationen: Robert Schönduwe, Institut für Humangeographie, Campus Westend, Tel.: (030) 238884107, schoenduwe@em.uni-frankfurt.de
Forschung Frankfurt im Web:
www.forschung-frankfurt.uni-frankfurt.de/
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