Petersburger Dialog: Reporter ohne Grenzen fordert deutliche Worte
Zum Beginn des Petersburger Dialogs morgen (04.12.) in Kassel ruft Reporter ohne Grenzen die Teilnehmer auf, Einschränkungen der Pressefreiheit in Russland klar und deutlich zu verurteilen. „Es ist absurd, dass sich ein Diskussionsforum, das der Verständigung der Zivilgesellschaften dienen soll, nicht zu Wort meldet, wenn fragwürdige Gesetze die Arbeit russischer Medien einschränken oder einzelne Journalisten und Publikationen verfolgt werden“, sagte ROG-Geschäftsführer Christian Mihr in Berlin. „Der Petersburger Dialog wird so vollkommen unglaubwürdig.“
Dabei betraf die Verfolgung kritischer Stimmen in Russland zuletzt auch Mitglieder des hochrangig besetzten Dialogforums: Ende Oktober entzog ein Moskauer Gericht der Nachrichtenagentur Rosbalt die Lizenz, weil sie angeblich auf Videos verlinkt hatte, die Schimpfwörter enthielten. Mit ihrem Einspruch scheiterte die Agentur in der ersten Instanz, arbeitet aber derzeit weiter bis das Urteil rechtskräftig ist. Die Vorsitzende von Rosbalt, Natalja Tscherkassowa, koordiniert beim Petersburger Dialog die AG Zukunftswerkstatt – doch dieser meldete sich in der Angelegenheit bisher nicht öffentlich zu Wort.
Seit Beginn der dritten Amtszeit Wladimir Putins im Mai 2012 schränken zahlreiche Gesetzänderungen die Arbeit von Journalisten in Russland ein. So ist Verleumdung seit Juli 2012 wieder ein Straftatbestand, die Definition von „Spionage“ und „Verrat von Staatsgeheimnissen“ wurde verschärft. Seit 2013 ist es verboten, in den Medien Schimpfwörter zu benutzen, religiöse Werte zu beleidigen oder für „nichttraditionelle sexuelle Beziehungen“ zu werben – weit interpretierbare Formulierungen, die breiten Raum für Missbrauch bieten. Die russische Medienaufsichtsbehörde Roskomnadsor verwarnte seit Sommer 2013 mehrere Medien, weil sie Schimpfwörter benutzt hätten. Der freie Journalist und Blogger Sergej Resnik aus Rostow-am-Don wurde am 26. November wegen der Beleidigung von Amtspersonen zu 18 Monaten Gefängnis verurteilt. Gegen die Zeitung Molodoj Dalnewostotschnik im ostrussischen Chabarowsk läuft derzeit ein Verfahren wegen eines Artikels über einen homosexuellen Lehrer.
Höchst umstritten ist zudem eine Gesetzesinitiative, nach der sich auch Medien, die zu mehr als 50 Prozent aus dem Ausland finanziert werden, analog zu Nichtregierungsorganisationen als „ausländische Agenten“ bezeichnen sollen. Der Entwurf, den Abgeordnete der Kremlpartei „Einiges Russland“ im Juli 2012 in die Duma eingebracht hatten, wurde auch innerhalb Russlands scharf kritisiert und bereits mehrmals abgelehnt. Nun wird er erneut im Parlament diskutiert.
„Gerade angesichts der bevorstehenden Winterspiele in Sotschi, bei denen sich Russland als moderner, dynamischer Staat präsentieren will, dürfen ausländische Partner diese Entwicklungen nicht unkommentiert lassen“, so ROG-Geschäftsführer Christian Mihr. Journalisten aus dem In- und Ausland werden auch in Sotschi immer wieder stark in ihrer Arbeit behindert. Erst Anfang November wurde ein norwegisches Fernsehteam, das über die Vorbereitungen der Olympischen Spiele berichten wollte, in der Umgebung von Sotschi mehrmals von der Polizei kontrolliert und zeitweise in Gewahrsam genommen. Nahezu ohne Kontakt zur Außenwelt wird der freie Fernsehreporter Nikolaij Jarst bis heute im Hausarrest festgehalten, nachdem die Polizei am 23. Mai in seinem Auto angeblich Drogen fand. Im Juni 2013 wurde die kritische Zeitung Mestnaja, die seit langem im Visier der Medienaufsichtsbehörde steht, durchsucht und sämtliche Technik der Redaktion für fast zwei Monate beschlagnahmt.
Informationen zur Berichterstattung über die Olympischen Spiele in Sotschi finden Sie im ROG-Bericht „Der Kreml auf allen Kanälen“. Aktuelle Meldungen über die Situation der Medien in Russland in englischer Sprache stehen unter: en.rsf.org/russia.html. Auf der weltweiten Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen steht Russland nur auf Platz 148 von 179 Ländern.
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Ulrike Gruska / Christoph Dreyer
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