Ausstellung: Der Verlust der Existenz

Nach der Katastrophe in Japan ist der Rezeptionsapparat darauf konditioniert, in jeder meernahen Industrieanlage reflexhaft Fukushima zu sehen. Künstler als Seismografen: Eine Ausstellung über Fukushima und die Folgen.
Ausstellung: Der Verlust der Existenz
Geborgene Erinnerung. Ein von der japanischen Künstlerin Leiko Shiga im Erdbebengebiet gefundenes Foto. Es ist in der Ausstellung zu sehen. – Foto: dpa

Wie direkt kann Kunst auf die Wirklichkeit reagieren? Kann sie den Strom der Nachrichtenbilder begleiten, ihn unterbrechen, ihn sogar übertreffen?
Letzteres wohl kaum, denn es geht um Fukushima. Wer in Deutschland von Fukushima spricht, spricht von zwei übermäßigen Veräußerungen von Energie: erstens einer technischen in einem Atomkraftwerk, zweitens einer medialen und emotionalen, einer Wolke aus Alarmierung und Spekulation. Deren Halbwertszeit war gering, so dass hundert Tage nach dem Unglück nur noch vereinzelt Meldungen von zunehmenden Strahlungswerten oder Antiatomkraft-Kundgebungen eintrudeln
Zur Erinnerung: Mehr als an einem Reaktorunfall leidet Japan an den direkten Folgen eines Erdbebens und einer Flutkatastrophe.
Deshalb ist auch der Titel einer Ausstellung zum Thema in den Kunst-Werken etwas unglücklich, da er die Vermischungen übernimmt: „Breaking News. Fukushima and the Consequences“. Die UdK-Professorin Leiko Ikemura untersucht mit Werken alter Weggefährten wie Wim Wenders und Yoko Ono, wie die Katastrophe den Blick auf die Kunst verändert hat. Es ist ein Experiment über die kritische Rolle von Kunst, die Ikemura von den selben Marktmechanismen nivelliert sieht, die auch zur mangelnden
Absicherung von Atomkraftwerken führen.
Die Aktualität und Brisanz, die aus dem Titel sprechen, werden kaum eingelöst. Fast alle Arbeiten entstanden vor dem Unglück. Es sind Klassiker darunter wie Shomei Tomatsus Fotografie einer Armbanduhr, die bei der Detonation über Nagasaki stehen blieb. Oder Fotos von Daido Moriyama, der mit eindringlichen, dynamischen Aufnahmen die Schattenseiten der japanischen Gesellschaft erkundet. Es ergibt sich ein körniges Schwarz-Weiß-Panorama, spannungsreich angeführt von Yutaka Takanashis Fotografie von 1971, auf der Meerwasser in Schräglage Strommasten umspielt.
Hier passt sie, die abgegriffene Floskel vom Künstler als Seismografen – andererseits auch gerade nicht. Nach der Katastrophe in Japan ist der Rezeptionsapparat darauf konditioniert, in jeder meernahen Industrieanlage reflexhaft Fukushima zu sehen. Rosemarie Trockels mit Platin überzogener Keramikklotz – Metapher auf die Corium-Klumpen, die drohen, sich durch die Reaktorhüllen zu fressen? Die Ausstellung bricht die Reflexe nicht auf, eher stützt sie beklemmende Gefühle von Hilflosigkeit. In Tokio, wo im August Ikemuras Retrospektive im National Museum of Modern Art eröffnet, hätten diese Räume vielleicht kritische Wirkung. Hier dienen sie als Spiegel für das, was man schon zu wissen glaubt.
Im Hinterzimmer zeigt die 30-jährige Fotografin Lieko Shiga dafür eine wirklich zwingende Arbeit. In lakonischen Bildern und Kommentaren dokumentiert sie die Zerstörung ihres Dorfes und die Versuche, ihre Fotografien zu trocknen und zu ordnen, die schließlich vom Wind verweht werden. Die Serie endet mit angefressenen Abzügen. Der Verlust der Existenz verdoppelt sich im Verlust der künstlerischen Sprache.
Von Kolja Reichert

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