Der Bund Deutscher Kriminalbeamter und die Deutsche Kinderhilfe haben heute die Auswertung der Kriminalstatistik 2010 in Bezug auf kindliche Gewaltopfer vorgestellt. In Berlin erläuterte der Präsident des Bundeskriminalamtes, Jörg Ziercke, die erschreckende Tatsache, dass im Gegensatz zum allgemeinen Trend sinkender Kriminalität die Zahl der kindlichen Tötungsopfer im Vergleich zum Vorjahr von 152 Opfern unter 14 Jahren auf 183 getötete Kinder gestiegen ist. Darunter waren 129 Kinder unter 6 Jahren (im Vorjahr 123). Auch die in der Kriminalstatistik erfassten Fälle von körperlicher Misshandlung stiegen im Jahre 2010 um 7%.
„Die Tatsache, dass in Deutschland jeden zweiten Tag ein Kind Opfer eines Tötungsdeliktes wird und die Zahl der Misshandlungen von Kindern angestiegen ist, muss uns mehr als nachdenklich stimmen. Jeder von uns ist aufgefordert, aufmerksam zu sein, um die Jüngsten unserer Gesellschaft vor Übergriffen zu schützen. Niemand darf einfach zur Tagesordnung übergehen, wenn er Gewalthandeln gegen Kinder wahrnimmt. Verdachtsfälle müssen konsequent angezeigt und Täter rückhaltlos verfolgt werden“, so Jörg Ziercke, Präsident des Bundeskriminalamtes.
Die Zahlen lassen befürchten, dass nach dem „Kevin Effekt“, der zunächst zu einer gestiegenen Aufmerksamkeit, regelmäßigen Hausbesuchen und mehr Inobhutnahmen durch die Jugendämter führte, nun wieder die alten Verhaltensmuster aufleben. Die Zahlen verdeutlichen, dass das Scheitern des Kinderschutzgesetzes im Jahr 2009 ein großer Rückschlag für mehr Kinderschutz in Deutschland war. Entgegen den Beteuerungen aus dem Jugendhilfesystem, es bestünde kein gesetzgeberischer Handlungsbedarf, zeigt sich, dass ohne einheitliche Fach- und Diagnosestandards, ohne eine aktive und verbindliche Einbindung auch der Schulen und Kinderärzte in die Jugendhilfe zu viele Kinder in Deutschland zu Tode kommen. Da 600 Jugendämter unterschiedlich arbeiten und sich ihre finanzielle Ausstattung nach der Kassenlage der jeweiligen Kommune richtet, hängen die Überlebenschancen eines Kindes nach wie vor davon ab, ob es in München, Stuttgart oder Königswinter zur Welt kommt.
„Von den heute vorgestellten Zahlen ergeht ein klares Signal an die Politik, den Geist von 2007, als der erste nationale Kindergipfel im Kanzleramt stattfand und die Politik einig war, das Jugendhilfesystem zu reformieren, wieder zu beleben. Es bedarf des Mutes und der Entschlossenheit sowie der Rückendeckung aus dem Kanzleramt, ein Kinderschutzgesetz zu verabschieden, damit dieses System, in dem nach wie vor mehr als drei Kinder pro Woche zu Tode kommen, umfassend reformiert wird“, so Georg Ehrmann, Vorsitzender der Deutschen Kinderhilfe.
Auch die Zahl der Opfer sexueller Gewalt stieg nach rückläufiger Bilanz der letzten Jahre wieder von 14.304 Kindern um 2,7% auf 14.696. Gerade in diesem Deliktsbereich ist zudem das Dunkelfeld besonders groß.
„Die vorgelegten Zahlen der getöteten, verletzten, missbrauchten und misshandelten Kinder in Deutschland geben leider keinen Grund zur Entwarnung. Neben einem Bundeskinderschutzgesetz und klaren Regelungen für den Umgang mit Kindesmissbrauch, etwa der Möglichkeit von Kinderärzten, sich untereinander auszutauschen, ist auch der Präventionsbereich zu stärken. Dazu zählt auch die Regelvorlage eines erweiterten Führungszeugnisses nicht nur für Hauptamtliche, sondern auch gerade für ehrenamtliche Jugendbetreuer“, so Klaus Jansen, Bundesvorsitzender des Bund Deutscher Kriminalbeamter.
Auch das Motto des Weissen Rings lautet: „Hinschauen – nicht wegschauen!“, so Sabine Hartwig, Bundesvorstandsmitglied des Weissen Rings. „Ich verstehe dies als Aufruf an alle gesellschaftlichen Kräfte, Familie (Verwandte), Nachbarn, Kindergarten und Schule, Jugendämter, medizinisches Personal, Polizei. Jeder in seinem Bereich sollte Verantwortung fühlen und übernehmen für den Schutz der Kinder, die die Zukunft unseres Landes sind.“
Die öffentliche Aufmerksamkeit für das Thema tote, misshandelte und missbrauchte Kinder hat merklich nachgelassen – die Deutsche Kinderhilfe, der Bund Deutscher Kriminalbeamter und der Weisse Ring sind sich einig in dem Appell an die Politik und auch an die Gesellschaft, das Thema wieder zum Schwerpunkt zu machen. Diese nur als dramatisch zu bezeichnenden Zahlen sollten alle Beteiligten aufrütteln und verdeutlichen, dass es ein „weiter so“ nicht geben darf.
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