Bonner Frauenmuseum eröffnet SINGLE MOMS

Alleinerziehende in Kunst, Geschichte und Gegenwart

Bonner Frauenmuseum eröffnet SINGLE MOMS

Ausstellungsplakat

Die Zeiten der Familienidylle mit Vater, Mutter, Kind sind längst vorbei. Immer mehr Kinder in Deutschland wachsen bei nur einem Elternteil auf – meist bei der Mutter. Fast jede fünfte Frau mit Kindern ist alleinerziehend. Die jüngste Studie der Bertelsmann Stiftung hat es auf den Punkt gebracht: Alleinerziehende in Deutschland stehen unter Druck. Die Politik berücksichtigt ihre Lebenssituation zu wenig. Sowohl im Unterhaltsrecht als auch im Steuer- und Sozialrecht haben Reformen der vergangenen zehn Jahre den finanziellen Druck auf Alleinerziehende verschärft.
Das Bonner Frauenmuseum hat sich des brisanten Themas nun in einer großen Ausstellung (13.4. bis 9.11.2014) angenommen. Die Schau zeigt drei große Teile: Die Geschichte und Gegenwart der Alleinerziehenden, die internationale Situation und die Umsetzung des Themas in der Kunst. In Ton- und Wortbeiträgen werden außerdem unbekannte und berühmte alleinerziehende Mütter präsentiert: Starke und selbstbewusste Frauen. Zusätzlich werden drei Parallelausstellungen zum Thema gezeigt: Maina Miriam Munsky, Annegret Soltau sowie Portraits Überlebender der irakischen Anfal-Operationen – einer von Frauen initiierten Gedenkstätte.

Alleinerziehende in der Geschichte:
Auftakt der Schau über drei Etagen bildet die Historie. Alleinerziehende erfuhren im Laufe der Geschichte ein sehr wechselvolles Schicksal. Auch in früheren Jahrhunderten zogen viele Mütter infolge von Krieg und Naturkatastrophen ihre Kinder allein groß. Das war akzeptiert, solange die Moral gewahrt blieb. Als uneheliche Mütter hatten sie jedoch unter Vorurteilen, harter Bestrafung und staatlicher Vormundschaft zu leiden.
Die Ausstellung zeigt eine Entwicklung auf, die meist zu Ungunsten lediger Mütter verlief. Die Schlaglichter: Im 17. Jahrhundert konnten Schwangere aufgrund der Unzuchtsgesetze ausgepeitscht werden. Im 18. Jahrhundert boten die an Universitäten angegliederten Gebäranstalten den Frauen eine Anlaufstelle. Hier konnten sie schon Wochen vor der Geburt „untertauchen“, wenn sie sich bereitwillig als Anschauungsobjekte für den Unterricht der Medizinstudenten zur Verfügung stellten. Im 19. Jahrhundert wurde ihnen eine staatliche Vormundschaft auferlegt, die in letzter Konsequenz erst 1970 aufgehoben wurde. Auch das Bürgerliche Gesetzbuch von 1900 erwies sich für unverheiratete Mütter als nachteilig. Alimente vom Kindsvater bekam nur diejenige, die einen untadeligen Ruf nachweisen konnte.
Ein weiteres Augenmerk lenken die Ausstellungsmacherinnen auf die Kinder von deutschen Wehrmachtsangehörigen in besetzten Ländern. Allein in Frankreich sind ca. 200.000 Kinder bekannt. Nach der Befreiung stand den Frauen in vielen Fällen eine brutale Bestrafung bevor; ein großer Teil von ihnen wurde öffentlich gedemütigt, in dem ihnen die Haare geschoren und manchen sogar ein Hakenkreuz in die Stirn geritzt wurde. Dieses Strafritual wiederholte sich in den meisten besetzten Ländern. Die Mütter litten – ebenso wie ihre Kinder – jahrelang unter Diskriminierung.
Heute ist zwar formal die rechtliche Gleichstellung erreicht, doch noch immer gibt es keine Chancengleichheit. Halber Lohn und doppelte Verantwortung kennzeichnen den Alltag vieler Alleinerziehender. 39 Prozent der Alleinerziehenden beziehen staatliche Grundsicherung. Jedes zweite Kind im Hartz IV-Bezug wächst in einer Ein-Eltern-Familie auf.
In einer Hörstation wird dieser Lebensalltag von acht Alleinerziehenden eindrücklich geschildert: Man hört von einer Mutter, die dem Vater sanft beibringt, dass sie besser als Alleinerziehende klarkommt und von einer anderen, die völlig überlastet einen Zusammenbruch erleidet, von Diskriminierung und Existenzängsten. Eine Porträtserie zeigt einen Teil der mehr als 8.000 Bonner Alleinerziehenden – die Reihe wird im Laufe der Ausstellung weiter wachsen. Dazu bieten die Ausstellungsmacherinnen verschiedene offene Fototermine an. In einem Online-Forum werden parallel Kommentare und Forderungen von Alleinerziehenden gesammelt.

Ausstellung öffnet den Blick auf andere Länder:
Allein in Europa waren die Gegensätze groß: Während alleinerziehende Mütter in der Gesellschaft der DDR integriert waren, durfte in Irland in den 1960er Jahren nicht öffentlich darüber diskutiert werden, dass es ledige Mütter gab. Das Spektrum über die Kontinente reicht von Rebecca Lolosolis erstem Frauendorf in Afrika, das für die Ausstellung von der kenianischen Fotografin Nana Grosse-Woodley in eindrücklichen Bildern porträtiert wurde, über Flüchtlingsmütter aus Jordanien bis zum „Single Mother“s Day“ in Korea. Aus den USA wird „Single Mothers by Choice“ vorgestellt, ein Verband, der alleinstehende Frauen berät, wie sie Mütter werden können.
Über Lateinamerika wird von speziellen Arbeitsplätzen für „Madres solteras“ berichtet und die aktuelle Situation in Brasilien geschildert. Hier stieg die Zahl der Teenagerschwangerschaften wegen rigider Abtreibungsverbote stark an. Die Kultur des Machismo prägt zudem die Meinung, dass Vaterschaft eine optionale Verpflichtung sei. Es ist kein Klischee, dass viele Männer ihre Familie verlassen. Der Staat greift daher zu drastischen Mitteln: Zahlungsunwillige Väter müssen mit einer Haftstrafe rechnen; selbst wenn sie arbeitslos sind, müssen sie ihren Verpflichtungen nachkommen.

Mehr als 40 Künstlerinnen zeigen ihre Arbeiten:
Im Kunstteil werden Arbeiten gezeigt, die z.T. extra für diese Ausstellung angefertigt wurden. Mehr als 40 Künstlerinnen haben das Thema aufgegriffen. Das Ergebnis ist eine vielseitige Schau, die zeigt, wie unterschiedlich Frauen sich der Fragestellung nähern: Einige tun dies autobiografisch, viele mit Rückgriff auf literarische Zeugnisse, die Bibel und die Mythologie, oder auf berühmte Vorbilder unserer Kulturgeschichte.
Die autobiografischen Ansätze zeigen teils Rückgriffe auf die deutsche Nachkriegsgeschichte, also auf jene Zeit, in der Kriegerwitwen in bitteren Notzeiten allein mit ihrem Nachwuchs zurechtkommen mussten, hier stechen Künstlerinnen wie Renate Hochscheid, Silvia Gudehus und Conny Müscher heraus, die an Begriffe wie „Schlüsselkinder“ und „Rabenmütter“ erinnern.
Arbeiten, die sich mit der Gegenwart beschäftigen, thematisieren dagegen stärker, die Vielfältigkeit der Ansprüche an Frauen, wie Inna Rust mit 49 Piktogrammen, die klar machen, dass Alleinerziehende heute Haushälterin, Geliebte, Handwerkerin, Kreative und Erzieherin in Personalunion sein müssen. Thematisiert werden auch die veränderten Herausforderungen an die Erziehung durch die Digitalisierung des Alltags, etwa MAMU in „verkabelt und vernetzt“. Kritisch sehen die Künstlerinnen, etwa Astrid Bergmann, das Ansehen von Alleinerziehenden in der Öffentlichkeit. Tremezza von Brentano wirft dagegen ein Schlaglicht auf die Turbulenzen, die für Mütter durch Beziehungen mit Männern entstehen, bei denen die Kinder auf der Strecke bleiben. Firouzeh Görgen-Ossouli thematisiert die Single Mom im Spannungsfeld der iranisch-deutschen Kultur.
Unter den Künstlerinnen, die sich dem Thema kulturgeschichtlich nähern, sind besonders herauszuheben Julitta Frankes Zeichnungen und Skulpturen, die sich dem Thema über die Mythologie annähert sowie Christine Theile, die auf die erste Alleinerziehende in der Bibel rekurriert: Hagar, die mit ihrem Kind von ihrem Ehemann Abraham in die Wüste geschickt wurde. Es finden sich aber auch aktuellere Bezüge: „Adieu“, nennt Christine Theile ein weiteres Werk, das auf Francoise Gilot, die einzige Frau, die Picasso mit den gemeinsamen Kindern verließ, Bezug nimmt.
Erste chinesische Künstlerinnengruppe im Frauenmuseum:
Ein Highlight der Schau sind die Beiträge der ersten feministischen Künstlerinnengruppe in China „Bald Girls“. Unter dem Titel „Timelag“ sind die Arbeiten von Xiao Lu (Videos und Wandteppiche), Jiny Lan (Performance und Installation) und Li Xinmo (Wandmalerei, Performance, Fotografie und Zeichnung) vereint. Die Künstlerinnen sehen sich in der zeitgenössischen feministischen Kunst als Kämpferinnen und treten für die Aufklärung und das Gender-Bewusstwerden der modernen Frau im China des 21. Jahrhunderts ein. Sie wenden sich gegen die 2.000 Jahre alten, konfuzianischen Prinzipien, nach denen der Mann über der Frau steht. Denn trotz wirtschaftlichem Aufschwung und sozialistischer Gleichstellungspolitik ist diese Tradition bei vielen Menschen nach wie vor fest in den Köpfen verwurzelt.

KÜNSTLERINNEN
Martha Barbara Augustin, Astrid Bergmann, Erika Brigitta Beyhl, Franziska Braun, Tremezza Von Brentano, Milita Dore, Heidi Elvert, Petra Genster, Margit Goeltzer, Firouzeh Görgen-Ossouli, Elena Graure-Manta, Silvia Gudehus, Hella Grosse, Nana Grosse-Woodley, Erika Von der Heide, Renate Hochscheid, Thyra Holst, Mariola Maria Hornung, Eva Horstick-Schmitt, Mo Kleinen, Ruth Knecht, Heidi Kuhn, Marlene Leal da Silva-Quabeck, MAMU, Uta Meurer, Maria Möller, Conny Müscher, Brunhilde Odenkirchen, Lene Pampolha, Silvia Philipp, Ulrike Reutlinger, Ulrike Rosenbach, Inna Rust, Ulla Schenkel, Barbara Thaden, Christine Theile, Karin Waldmann, Ulla Maria Zenner
Künstlerinnengruppe „Bald Girls“ – Jiny Lan, Li Xinmo, Xiao Lu

Die Ausstellung wurde durch eine Projektfinanzierung des Landschaftsverbandes Rheinland (LVR) ermöglicht. Deutsche POST/DHL spondert den ersten 100 Alleinerziehenden mit ihren Kindern den kostenfreien Ausstellungsbesuch.

Vernissage
Sonntag 13.04.2014 / 14 Uhr

PARALLELAUSSTELLUNGEN
11.05. – 29.06.2014 Maina Miriam Munsky: „Die Angst wegmalen“
13.07. – 07.09.2014 Annegret Soltau: „Einheit und Trennung- Familienbilder“
21.09. – 09.11.2014 Portraits Überlebender von Anfal und die von Frauen initiierte Gedenkstätte Bildquelle:kein externes Copyright

Das Bonner Frauenmuseum wurde 1981 von der heutigen Direktorin Marianne Pitzen und einer Gruppe interdisziplinär arbeitender Frauen gegründet. Zu diesem Zeitpunkt existierte weltweit noch keine Institution gleichen Namens oder vergleichbarer Zielsetzung. Das Frauenmuseum ist kein statischer Ort mit festem Bestand, sondern ein lebendiges Haus, das sich aus der Fülle der weiblichen Kreativität und Vielfalt immer wieder erneuert.
Mehr als 2.500 nationale und internationale Künstlerinnen haben Im Krausfeld ausgestellt, 600 Ausstellungen wurden durchgeführt, darunter 30 „Riesenprojekte“ auf jeweils 2.000 qm, 200 Kataloge ediert und mit mehr als 1000 Veranstaltungen wissenschaftlich oder spartenübergreifend untermauert. In den Archiven wird zu Geschichte, Zeitgeschichte und Kunst gesammelt, allein die Bibliothek der Künstlerinnen umfasst 12.000 Kataloge. Die Sammlung wächst stetig; sie ist ausschließlich auf Schenkungen angewiesen: Nachlässe, Stiftungen, Sponsoren.
Marianne Pitzen und ihr Team sind auch neue Wege gegangen – das Kinderatelier, die Kunst- und Designmessen – sind Projekte, die in den letzten 10 Jahren entstanden sind. Der Aufbau des historischen Bereichs ist in den letzten Jahren stärker in den Focus gerückt. Das Frauenmuseum verbindet auf einzigartige Art und Weise Geschichte mit Gegenwartskunst.

Kommende Ausstellungen:

11.05. – 29.06.2014 Maina Miriam Munsky: „Die Angst wegmalen“

13.07. – 07.09.2014 Annegret Soltau: „Einheit und Trennung- Familienbilder“

21.09. – 09.11.2014 Portraits Überlebender von Anfal und die von Frauen initiierte Gedenkstätte

21.11. – 23.11. 2014 24. Kunstmesse 2014, 80 Künstlerinnen, Sonderausstellung, Programm

30.11. – 30.01.2015 Theobald Simon Preis der GEDOK, Bundesweite Ausschreibung, Ausstellung der Preisträgerin. c/o Prof. Ulrike Rosenbach/Präsidentin der GEDOK

14.12. – 08.03.2015 „Die Blaue Reiterin und ihr Freundeskreis“. Ein Projekt des Gabriele Münter Preis e.V.

Frauenmuseum
Dr. Klaudia Nebelin
Im Krausfeld
53111 Bonn
0228 92 655 160
klaudia.nebelin@frauenmuseum.de
http://www.frauenmuseum.de